„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

Ihr Suchbegriff Limbisches System

Leserfrage: Immer, wenn ich wütend bin, bekomme ich Kopfschmerzen, was kann ich tun?

07.05.2020 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Liebe Frau Rösch,

schon seit einiger Zeit trage ich die Frage mit mir herum, ob Sie vielleicht etwas zum Umgang mit Wut schreiben könnten.
Ich kämpfe sehr mit angestauten Gefühlen, die durch ein Trauma ausgelöst wurden. Wenn ich mich heute ohnmächtig fühle, puscht das mit einem Mal die Gefühle hoch. Wenn ich eine Situation nicht ändern kann, fühle ich mich ohnmächtig und ausgeliefert. Es spielt keine Rolle in welcher Hinsicht ich mich ohnmächtig fühle. Ich gerate so sehr in innere Not, dass ich das Gefühl habe, dass Wut, Hass und Aggression sich überschlagen.
Diese Gefühle kommen selten zum Ausdruck. Die Migräne ist mein einziges Ventil, diesen Druck wieder abzubauen. Darunter leide ich so sehr, dass ich gerne einen anderen Weg finden würde.
Einerseits versuche ich mich für etwas einzusetzen, wenn ich erkenne, dass mir etwas zusteht oder ich im Recht bin. Das ist nicht leicht, weil ich das bisher nie getan habe. Dadurch, dass ich mich mit dem Thema beschäftige und es nicht sofort wegdrücke, verstärkt sich der Druck noch.
Andererseits habe ich versucht, der Wut einen Ausdruck zu geben. Da es mir nicht möglich ist, zu schreien oder irgendwie laut und ausdrucksstark zu werden, habe ich es zumindest einmal im Geiste versucht. Aber selbst das hat eine heftige Migräne zur Folge. Es gibt also keine Veränderung, wenn ich versuche mit der Wut irgendeinen Umgang zu finden. Im Gegenteil habe ich das Gefühl, dass mein Kopf zu zerspringen droht.
Es hilft dann nur, mich völlig von dem Thema zu distanzieren und meditativ für Ruhe zu sorgen. Aber ich fühle mich wie eine tickende Zeitbombe, die jederzeit wieder angestoßen werden kann und dann geht die Spirale von vorne los.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir dafür einen Rat geben könnten.

Photo by Tobi from Pexels

Wut ist unsere erste Reaktion auf eine Bedrohung

Wenn wir eine Bedrohung wahrnehmen, löst unser Limbisches System Alarm aus und stellt über die Stressreaktion Handlungsbereitschaft her. Wut ist die gesunde Reaktion auf Bedrohung. Es ist unsere erste Reaktion auf Bedrohung.

Haben wir noch Handlungsstrategien, spüren wir Wut, nähern uns der Gefahr und „kämpfen“. Diese Handlungsmöglichkeiten bezeichne ich als Kampfstrategien. Man würde diese Strategien wohl auch als Beeinflussungsstrategien bezeichnen oder als „sich wehren“.

Aber als Kind ist alles anders

Wenn man nun als Kind in eine Situation kommt, in der man sich bedroht fühlt, und der Angreifer ein Erwachsener ist, hat man keine Chance. Vielleicht schreit man oder strampelt, aber ein Kind ist immer schwächer als ein Erwachsener.

Der Erwachsene wird mit seinem Verhalten dafür sorgen, dass das Kind sich nicht wehren kann. Wenn das nicht geht und die Bedrohung fortdauert, wird das Kind Angst bekommen und flüchten wollen. Aber auch das geht nicht. Und so ist es der Gewalt des Erwachsenen ausgeliefert. Bekommt Todesangst, fühlt sich ohnmächtig und dann schaltet das Gehirn um in die Notabschaltung. Das Kind kommt in einen von drei Zuständen. Entweder es reagiert panisch, schreit und weint bis zur Bewusstlosigkeit, oder kommt in die Schreckstarre und kann sich nicht mehr rühren. Im dritten Zustand werden alle Gefühle abgeschaltet. Als Erwachsener kann einem dann noch etwas einfallen, was einem hilft. Als Kind geht das nicht, weil es keine funktionierende Strategie gibt.

Wiederholung kann zu Kopfschmerzen führen

Wenn die Gewalt sich wiederholt, kommt der Körper immer wieder in einen Ausnahmezustand, der mit großer Muskelspannung einhergeht. Außerdem ist es eine häufige Strategie, Gefühle durch Anspannung zu unterdrücken. Kopfschmerzen können eine Folge sein. Wenn der Körper aufgrund wiederkehrender Gewalterfahrungen in einem Zustand von Alarmbereitschaft bleibt und Wut immer wieder unterdrückt wird kann es zu dauerhafter Anspannung kommen und damit ist es vorstellbar, dass vermehrt Kopfschmerzen oder auch Migräne auftreten.

Wenn die Migräne dazu führt, dass das Kind hin und wieder keine Gewalt erfährt, dann kann es sein, dass das Hirn lernt, dass Kopfschmerzen ein Schutz sind. Es würde reichen, wenn das Gehirn diesen Zusammenhang herstellt, auch wenn er nicht durch das Verhalten des Angreifers begründet ist.

Wie Wut und Kopfschmerz zusammenkommen

Wenn Wut Gefahr anzeigt, Kopfschmerzen aber Schutz, dann kann es sein, dass das Hirn diese Verbindung zusammenbringt und auf Wut mit Kopfschmerzen reagiert. Das Risiko für Kopfschmerzen und Migräne steigt, wenn Wut immer wieder unterdrückt wird und damit die Spannung im Körper hoch ist.

Folgende Dinge gilt es zu lernen, wenn man dieses Entstehungsmodell voraussetzt: Wut ist eine gesunde, gute und wünschenswerte Reaktion auf Bedrohung. Es gibt keinen Grund Wut zu unterdrücken. Wut in Verbindung mit geeigneten Verhaltensweisen stellt einen guten Schutz vor Gewalt dar. Kopfschmerzen sind kein Schutz vor Gewalt.

Wenn die Wiederholungen oft genug stattgefunden haben, dann ist der Kreislauf und jede Reaktion sehr gut gelernt und läuft entsprechend automatisch ab. Das macht es schwer, diese Verbindung wieder zu trennen.

Sie können es lernen

Liebe Leserin,

Nachdem Sie geschildert haben, dass Sie schon Kopfschmerzen bekommen, wenn Sie sich nur vorstellen sich zu wehren, würde ich Ihnen empfehlen mal mit folgenden Gedanken anzufangen: „Ich bin erwachsen. Ich bin wertvoll. Ich darf mich wehren. Ich brauche keine Kopfschmerzen mehr zu meinem Schutz. Ich kann andere Strategien lernen.“

Schreiben Sie sich das ab und hängen es irgendwo auf. Lesen Sie es immer wieder und denken darüber nach. Suchen Sie Argumente dafür, warum das die Wahrheit für Sie ist. Das ist ein Anfang. Ganz sanft sich die Erlaubnis geben, diese positiven und gesunden Gedanken zu denken und davon zutiefst überzeugt zu sein. Was das mit einer Traumatherapie zu tun hat, können Sie hier weiterlesen.

Außerdem mache ich Ihnen Mut, weiter alle Strategien zu üben, die für Sie funktionieren, also zum Beispiel Meditation und alles, was Ihnen hilft wieder zur Ruhe zu kommen.

Wenn Sie in Gefahr sind, bringen Sie sich in Sicherheit

Ich gehe davon aus, dass es in Ihrem Leben in der Gegenwart keine lebensbedrohlichen Situationen mehr gibt. Wenn doch, dann lassen Sie sich bitte von einem Rechtanwalt oder in einer Beratungsstelle beraten und schalten ggf die Polizei ein, um sich zuerst in Sicherheit zu bringen.

Was es so schwierig macht ist, dass Ihr Gehirn gegenwärtige Situationen mit der Vergangenheit verwechselt (hier wird Verwechslung ausführlich erklärt). Wenn es in der Gegenwart keine Gewalt mehr gibt, dann gibt es keine Lebensbedrohung mehr, sondern nur noch Situationen, für die es hilfreiche Strategien und Denkweisen gibt, die Sie lernen können.

Das geht nur, indem man sich eine Situation nach der anderen anschaut. Insofern, fangen Sie mit den gesunden Gedanken an.

Viel Erfolg damit und viel Kraft für Ihren Weg, Ihre Stefanie Rösch

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Wenn Ihnen mein Blog oder die Videos weiterhelfen, freue ich mich über eine freiwillige Gabe. Wie das funktioniert, lesen Sie hier nach. Danke!

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14.02.2017 Veröffentlicht von 0 Kommentare

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Leserfrage: Spielsucht durch traumatische Erfahrungen?

01.11.2016 Veröffentlicht von Leserfragen, Strategien 0 Kommentare

Ist es normal durch traumatische Erfahrungen extremes Suchtverhalten (Casino, Computer) zu entwickeln? Als ich überlegte, warum ich das mache, fand ich die Antwort, dass ich dadurch die unzähligen Gedanken und Erinnerungen für einen Moment ausschalte und mich im Hier und Jetzt befinde ohne denken zu müssen.

Ist es möglich, meinen Kopf auszuschalten ohne zu spielen, dass die Gedanken und Erinnerungen aufhören. Ich habe das Gefühl, dass ich 24/7 nur am Denken bin. Bin teilweise richtig abwesend und höre den Menschen um mich rum nur teilweise oder gar nicht zu bzw. vergesse Gesagtes manchmal recht schnell, da ich so in Gedanken versunken bin.

Lieber Leser,

danke für die positive Rückmeldung. Meine Gedanken und Ideen zu Ihrer Frage?

Ich finde, Sie haben das gut erkannt. Ich glaube nicht, dass es normal im Sinne von verbreitet oder häufig ist, aufgrund oder nach einer oder mehrerer traumatischen Erfahrungen eine Spielsucht zu entwickeln. Aber ich halte es für möglich und vor allem erklärbar. Sie haben die Erklärung bereits selbst beschrieben. Es ist ein Versuch, um mit den negativen Erinnerungen umzugehen, die wiederum ganz typisch sind als Folge von belastenden Lebenserfahrungen.

Hier eine grundsätzliche Erklärung

Bei Traumafolgestörungen dreht sich alles um die Fehlalarme des Hirns, die sich in Erinnerungsattacken wiederspiegeln. Wenn Sie Gefahr erlebt haben und das vielleicht nicht nur einmal, dann wird Ihr Hirn Sie immer dann warnen, wenn es einen Reiz gibt (Bild, Farbe, Geruch, Geräusch, Geschmack, Körperwahrnehmung), der an die erlebte/überlebte Gefahr erinnert. In dem Moment versucht Ihr Hirn, Sie zu warnen, indem es die Erinnerung „schickt“. Ihr Hirn kann ja nicht sagen: „Du, Achtung, hier könnte irgendwo ein Säbelzahntiger sein und die sind gefährlich, also sei vorsichtig.“ Um diese Warnung zu schicken, sehen Sie die Bilder aus der Erinnerung, spüren Sie im Körper. So wie Sie es damals gespürt haben, hören Sie vielleicht die Geräusche im Ohr und so wissen Sie: Achtung, Gefahr!

Wir haben leider verlernt, diese Erinnerungsattacken als Warnung unseres Hirns zu sehen, zumal es meistens ein Fehlalarm ist. Es also keine echte, reale Gefahr mehr gibt.

Wenn Sie diesen Zusammenhang aber nicht kennen, dann werden Sie sich Ihren Erinnerungsattacken hilflos ausgeliefert fühlen, genauso wie der ursprünglichen Gefahr. Natürlich geht mit diesen Fehlalarmen einher, dass man sich schlecht fühlt und natürlich auch, dass man darüber nachdenkt. Leider denkt man nicht immer, wie man eine zukünftige Gefahr bewältigen kann, sondern viele Menschen bleiben im Kopf, im Moment der größten Gefahr, „stecken“. Das nennt man katastrophisierendes Denken. Wenn Sie aber in Gedanken im Zustand der Gefahr bleiben, dann macht ihr Körper auch die entsprechende Alarmreaktion dazu, sprich Stress, sprich Unruhe und ein unangenehmes Gefühl.

Um das „wegzumachen“ lenken sich viele Menschen ab, zum Beispiel mit einem Suchtverhalten. Insofern haben Sie das gut erkannt!

Der nächste Schritt ist zu lernen, was man gegen diese Erinnerungsattacken und die damit verbundene Stressreaktion tun kann, ANSTATT zu spielen.

Der Trick ist, die Aufmerksamkeitsspanne, also das, was wir (halbwegs) bewusst denken, mit Gegenwart zu füllen. Das Spielen ist eine Möglichkeit, die jedoch den Nachteil hat, dass Sie den Fehlalarm damit nicht dauerhaft abbrechen können.

Im Grunde braucht das Hirn Ihre Unterstützung dabei zu lernen, dass es gute Warnreize gibt und ungeeignete Warnreize. Das heißt, Sie wollen Ihr Alarmsystem „besser einstellen“, damit es weniger Fehlalarme macht. Wenn man es auf das Beispiel von einem Rauchmelder anwendet, dann wollen Sie ihrem Rauchmelder (Gefahrenmelder/Limbisches System) im Hirn beibringen, nur auf einen echten Brand zu reagieren und nicht auf jede Kerze, die brennt, oder jedes Schnitzel, das Sie braten, oder jede Zigarette, die geraucht wird. Das heißt, beim nächsten Fehlalarm, schauen Sie sich um und sagen Sie sich, dass Sie jetzt sicher sind.

Es kann sein, dass das nur in kleinen Schritten geht. Aber es geht. Ich erlebe es täglich in meiner Arbeit.

Den ersten Schritt haben Sie schon bewältigt, weil Sie erkannt haben, dass Gedanken die Unruhe verursachen, die so unangenehm ist, dass Sie sie wegmachen wollen. Sie haben den wichtigsten Schritt schon getan: Sie wissen wie eine Erinnerungsattacke bei Ihnen beginnt.

Jetzt heißt es, den Feuermelder im Hirn neu einstellen, indem Sie ANSTATT zu spielen, die Hier-und-Jetzt-Übung machen und sich immer wieder mit eigenen Augen versichern, dass Hier und Jetzt keine Gefahr ist und Sie sicher sind. Es ist wichtig, sich das selbst zu sagen: Ich bin jetzt sicher, das ist nur ein Fehlalarm. Ich bin jetzt sicher.

Es braucht Übung. Wenn die Erinnerungsattacke zu schlimm ist, können Sie auch versuchen, das Spielen mit einem Wecker zeitlich zu begrenzen. Spielen Sie eine halbe Stunde und dann machen Sie wieder etwas anderes. Einer meiner Klienten kam gut damit klar, bei einer Erinnerungsattacke etwa 2 Minuten lang ein Handyspiel zu spielen. Dann hatte er sich wieder in die Gegenwart gebracht und konnte seinem Alltag weiter nachgehen. Spiele, die sich dazu besonders eigenen, sind Spiele, bei denen das Spiel selbst das Tempo vorgibt, Jump & Run-Spiele oder Spiele, die eine hohe Konzentration erfordern, z.B. Logikspiele und Puzzlespiele. Jump& Run funktioniert besser, weil es Konzentration einfordert. Es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen dazu, dass Tetris-spielen helfen kann.

Weitere Möglichkeiten, Erinnerungen und die dazugehörigen unangenehmen Gedanken zu unterbrechen finden Sie hier: Sicherer Ort, weitere Stabilisierungetechniken bei PTBS.

Spielen hilft in Ihrem Fall nur kurzfristig, um die Erinnerungsattacke / Fehlalarm schnell wieder abzubrechen. Das eigentliche „Neu-Einstellen“ Ihres Feuermelders im Hirn wird stattfinden, wenn Sie sich beibringen, dass es sich bei der Erinnerungsattacke „nur“ um einen Fehlalarm handelt. So kann da Hirn die abgespeicherten Erinnerungs-Warnreize aussortieren.

Viel Erfolg und Durchhaltevermögen beim Training!

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Emily A. Holmes, Ella L. James, Thomas Coode-Bate, Catherine Deeprose (2009). Can Playing the Computer Game “Tetris” Reduce the Build-Up of Flashbacks for Trauma? A Proposal from Cognitive Science. PLOS, Published: January 7, 2009, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0004153

Leserfrage: Ambulante Traumatherapie oder Klinik mit Traumatherapie?

28.04.2014 Veröffentlicht von Leserfragen 1 Kommentare

Ich werde immer wieder gefragt, was im Fall einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) denn besser sei, eine ambulante Traumatherapie oder ein Klinikaufenthalt mit Traumatherapie.

Ganz grundsätzlich bin ich kein Fan von Klinikaufenthalten für PTBS-Betroffene.

Aber natürlich gibt es Umstände, die einen Klinikaufenthalt notwendig und auch sinnvoll machen, genauso wie es Gesundheitszustände von PTBS-Betroffenen gibt, in denen die Gabe von Psychopharmaka oder Schlafmitteln angesagt sind.

Aus meiner Erfahrung haben ganz viele PTBS-Betroffene deswegen Schwierigkeiten in ihrem Alltag zu Recht zu kommen, weil ihr limbisches System ständig „Fehlalarme“ auslöst. Diese Fehlalarme, die zu den belastenden Erinnerungs- und Gefühlsattacken führen, werden häufig durch Reize in der Lebensumgebung ausgelöst/getriggert, z.B. weil der „Tatort“ in der Nähe ist. Wenn Betroffene in eine Klinik gehen, dann sind sie den Auslösereizen/Triggern ihrer Erinnerungsattacken häufig nicht oder deutlich weniger ausgesetzt, allein weil sie sich in einer fremden Umgebung befinden. Die Symptome der PTBS verbessern sich fast von allein. Wenn man dann zurück in die gewohnte Umgebung kommt, dann habe ich schon oft gehört, dass die Beschwerden sich plötzlich wieder verschlechtern, was sehr frustrierend für Betroffene ist. Der Grund ist einfach, dass man den Auslösereizen zu Hause wieder mehr ausgesetzt ist. Und in der Umgebung der Klinik war es wegen der fehlenden Auslösereize nicht möglich, das Hirn darauf zu trainieren, geeignete von ungeeigneten Auslösereizen zu unterscheiden, um dadurch die Erfahrung dauerhaft zu „verarbeiten“.

Deswegen empfehle ich bei einer PTBS aufgrund eines einzelnen traumatischen Erlebnisses lieber eine ambulante Traumatherapie bei einem qualifizierten Therapeuten zu machen, weil dies schnell und zuverlässig zum Erfolg führt.

Klinikaufenthalte sind dann sinnvoll, wenn jemand über einen längeren Zeitraum Gewalt erlebt hat und neben den Erinnerungsattacken noch andere Fähigkeiten nicht lernen konnte, z.B. sich abzugrenzen, Beziehungen zu führen, sich selbst als wertvoll zu erleben oder zu wissen, welchen Einfluss man auf sein Leben hat und wo die tatsächlichen Grenzen des Einflusses sind, den eigenen Körper zu spüren oder eigene Entscheidungen zu treffen. Hier kann ein Klinikaufenthalt einen sicheren Rahmen bieten, in dem man diese grundlegenderen Probleme angehen kann. Menschen, die sehr viel Gewalt erlebt haben, können diese Fertigkeiten manchmal nur im Rahmen eines Klinikaufenthaltes erlernen.

Oder wenn die betroffene Person sich aktuell noch im Einzugsbereich des Täters befindet. Fortschritt ist bei PTBS Patienten oft mit einem Gefühl der Sicherheit und dem „wieder vertrauen können“ verbunden. Sollte der Täter also noch regelmäßig Zugang zu seinem Opfer haben, sollte ein Klinikaufenthalt in Erwägung gezogen werden. Natürlich ist es keine Dauerlösung sich vor dem Täter in der Klinik zu „verstecken“. Parallel zum Aufenthalt in der Klinik sollte dafür gesorgt werden, dass der Täter nicht weiter Kontakt zu der betroffenen Person aufnehmen kann.

Auch die vor allem nach extremer, oft organisierter Gewalt immer wieder auftretende Suizidalität kann ein guter Grund für die Sicherheit eines Klinikaufenthaltes sein.

Gleichzeitig ist es möglich, dass Tätergruppen Betroffene immer wieder mit Klinikeinweisungen und damit bedroht haben, dass ihnen niemand glaubt. Dann können Kliniken selbst zu Auslösereizen/Triggern werden und wären somit nicht hilfreich. Dann wäre es möglich, dass Betroffene den gesamten Klinikaufenthalt „weg“-dissoziiert, also innerlich nicht anwesend, sind und damit therapeutische Angebote wenig effektiv nutzen können.

Im Übrigen geht es bei der Behandlung der PTBS darum, etwas zu lernen. Das heißt als Betroffener muss man viel üben und durchhalten und Mut zeigen, sich mit den belastenden Erinnerungen auseinander zu setzen und auch und vor allem mit der dazugehörigen Stressreaktion und den belastenden Gefühlen. Dafür braucht jeder seine Zeit und einen geeigneten Begleiter. Der richtige Begleiter ist in meinen Augen wichtiger als die Lernumgebung, also die Frage nach Klinik oder Praxis.

Entscheiden Sie selbst, welcher Weg für Sie der passende ist.

Alte Ich-Zustände, das innere Kind, eingefrorene Gefühle und wie Sie erwachsen werden können

01.11.2013 Veröffentlicht von Erklärungsmodelle, Strategien 0 Kommentare

Vielleicht haben Sie Sich schon einmal gefragt, warum Sie in bestimmten Situationen immer wieder „überreagieren“. Möglichweise fühlt es sich ganz fremd an oder irgendwie alt oder irgendwie als wenn es da noch jemanden in Ihnen gibt. Manchmal bekommt man auch gesagt „So kenne ich Dich gar nicht“ oder „Sei nicht so kindisch“ oder „Werd endlich erwachsen“ oder „Du bist wie Dein Vater“ oder ähnlich seltsame Rückmeldungen. Wollen Sie wissen, was der Grund dafür sein kann?

Es geht um eingefrorene Erfahrungen, Ihre Überlebensstrategien und die Art, wie wir uns dadurch selbst erleben. Die meisten Menschen haben ein Gefühl dafür, dass sie sie sind. Wenn ich etwas von mir erzähle, dann tue ich das mit der Vorstellung, dass ich ich bin. Eine Einheit. Ich eben. Ich käme nicht auf die Idee von mir als „wir“ zu sprechen.

Trotzdem ist es möglich, dass meine Supervisorin fragt: „Frau Rösch, wie alt sind Sie gerade?“ und wenn ich in mich hineinspüre, dann ist schnell klar, dass die Gefühle, die ich in dem Moment empfinde, alt sind und im Grunde zu einem Teil von mir gehören, der nur acht Jahre alt ist. Dieser Teil, von manchen als inneres Kind bezeichnet, mischt sich dann in mein Leben ein, obwohl ich mich erwachsen verhalten will. Aber weil ich im Alter von acht Jahren eine für mich verletzende Situation erlebt habe, reagiere ich in der Gegenwart auf eine ähnliche Verletzung so wie ich als Achtjährige reagiert habe. Das ist damals meine Überlebenstrategie gewesen.
Wenn ich mir erlaube, das aus einer inneren Distanz heraus zu betrachten, dann kann ich mich an die alte Verletzung erinnern und spüre, dass meine Gefühle zu dieser Erinnerung gehören. Ich weiß, dass ich mich so „klein“ oder „verletzt“ fühle, weil ich mich damals sehr verletzt gefühlt habe. ABER: Heute habe ich mehr Möglichkeiten, die gegenwärtige Situation zu bewältigen als damals mit acht Jahren.

Wir alle haben verschiedene Ich-Zustände (IZ). Wir fühlen uns als „Ich“, als Einheit, aber wir verhalten uns in verschiedenen Situationen sehr unterschiedlich.

Als Ehefrau (Ich-Zustand) reagieren Sie auf einen Vorwurf vielleicht anders als im Beruf (anderer Ich-Zustand). Als Freundin (noch ein IZ) können Sie mit einer Abwertung anders umgehen als wenn sie von Ihrem Vater kommt (Tochter-IZ). Als Vater (IZ) können Sie mit Unterstellungen leichter umgehen, als wenn sie von Ihrem Chef kommen (Angestellten-IZ). Vielleicht reagieren Sie mit Angst auf Abwertungen und Drohungen (IZ „Abwertung“) oder erleben Panik, wenn Sie ignoriert werden (IZ „ignoriert werden“), oder sind verzweifelt, wenn andere nicht tun, was Sie wollen (IZ). Es gibt viele Dinge, die starke Gefühlsreaktionen auslösen, für die Sie selbst, wenn Sie Sich betrachten, keine gute Erklärung haben. Sie können spüren, dass Sie „zu“ emotional auf die aktuelle Situation reagieren. Trotzdem können Sie es nicht verhindern.

Diese Gefühlsreaktionen, die an bestimmte wiederkehrende Situationen gebunden sind, nennt man Ich-Zustände (IZ).

Die Erklärung dafür ist, dass Ihre alten Verletzungen mit allem, was dazu gehört, wie eingefroren in Ihnen liegen und darauf warten, aufgerufen zu werden. Das ist ein Ergebnis der Warnreaktion des Limbischen Systems. Sie fühlen sich „wie damals“ und reagieren auch „wie damals“, obwohl die Situation heute kaum mehr mit der alten Verletzungssituation zu vergleichen ist. Sie sind heute anders als damals. Sie sind erwachsen und haben andere Möglichkeiten für Sich zu sorgen. Aber Sie verhalten Sich als hätte sich nichts geändert.

Sie verhalten Sich wie damals, weil Ihr Gehirn, namentlich Ihr Limbisches System nicht begriffen hat, dass Sie größer und älter geworden sind mit mehr Lebenserfahrungen und Wissen und deswegen mit mehr Möglichkeiten auf Situationen zu reagieren. Ihr Gehirn kann an dieser Stelle noch nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden. Für Ihr Gehirn sind Sie immer noch acht oder zehn oder x Jahre alt, aber nicht so alt wie Sie tatsächlich sind. Deswegen müssen Sich in der heutigen Situation immer noch so „jung“ verhalten.

Genau das können Sie Ihrem Gehirn beibringen. Sie können Ihrem Gehirn den Unterschied zwischen Damals und Heute zeigen. Sie können erwachsen werden und damit die eigene Kraft spüren und einsetzen.

Der erste Schritt dazu ist, die Situationen aufzuspüren und sich zu notieren, in denen Sie das Gefühl haben, nicht ganz Sie selbst zu sein, irgendwie „über“ zu reagieren, als gäbe es da noch jemand anderen in Ihnen. Manchmal kann es auch helfen, sich diese Reaktion von einer vertrauten Person beschreiben zu lassen.

Nur im Zustand der bewussten Auseinandersetzung lassen sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn verändern, die für diese Reaktionen verantwortlich sind (siehe auch –> Giftige Gedanken). Wenn Sie also diese Situationen aufgespürt und ins Licht Ihres Bewusstseins gezerrt haben, dann können Sie Sich fragen:

  • Woher kenne ich diese Situation?
  • Woher kenne ich dieses Gefühl/diese Gefühle?
  • Habe ich das in meinem Leben schon einmal erlebt?
  • Wann genau?
  • Was genau ist in dieser anderen Situation gewesen?
  • Wie alt war ich da?
  • Welche Möglichkeiten hatte ich damals mit der Situation umzugehen und was könnte ich heute als erwachsener Mensch machen?
  • Wie will ich heute mit der Situation umgehen, wenn die aktuelle Situation wieder auftaucht?
  • Was ist mein konkreter Plan?
  • Was will ich denken?
  • Wie will ich handeln?
  • Was will ich sagen?
  • Wie will ich reagieren?

Schreiben Sie sich die Antworten auf! (siehe auch –> Erinnerungen in die richtige Form bringen). Stellen Sie sich immer wieder vor, wie Sie in der heutigen Situation anders reagieren könnten. Wenn Sie es sich oft genug vorgestellt haben, werden Sie trotz Stressreaktion entsprechend anders handeln. Nicht mehr als kleines, hilfloses Kind, sondern als erwachsene Person mit all ihren Stärken.

PTBS, Teil 6: Was können Sie gegen die Beschwerden der Erhöhten Erregung tun?

07.10.2013 Veröffentlicht von Erklärungsmodelle, Strategien 0 Kommentare

Wenn Sie Schwierigkeiten haben, sich auf diesen Text hier zu konzentrieren, lesen Sie die Zeilen wieder und wieder bis Sie sie verstehen.

Sie wissen jetzt aus den vorangegangenen Artikeln, warum Sie belastende Erinnerungen immer wieder im Kopf haben. Sie wissen, warum Sie nach einer belastenden Erfahrung ständig unter Strom stehen. Die Frage ist, was tun mit dem Durcheinander? Was können Sie gegen die Symptome der Erhöhten Erregung tun, die Sie aufgrund der Fehlalarme Ihres Warn- und Überlebenssystems „Limbisches System 1.0“ haben?

Zuerst einmal eine Klarstellung: Wutausbrüche sind zwar verständlich und erklärbar, aber ein belastendes Lebensereignis oder eine Posttraumatische Belastungsstörung ist keine Entschuldigung dafür, den eigenen Stress an anderen rauszulassen und schon gar nicht an den Menschen, die Sie lieben. Holen Sie sich Hilfe!! Sofort!

So, nachdem das gesagt ist, kommt jetzt der Satz, den Ihnen jeder sagen wird, der sich mit Stress beschäftigt: Treiben Sie Sport! Naja, es muss nicht unbedingt Sport sein, aber Bewegung wird Ihnen gut tun. Ganz einfach, weil Sie wissen, dass Ihr Überlebenssystem Ihnen Bewegungsenergie zur Verfügung stellt. Jedes Mal, wenn die belastende Erinnerung aufgerufen wird, stellt Ihnen Ihr Überlebenssystem die Energie zur Verfügung, als wären Sie jetzt in Gefahr und müssten kämpfen oder flüchten. Die Energie steckt in Ihrem Körper, in Ihren Muskeln. Die beste Möglichkeit, diese Energie wieder los zu werden ist, sie zu verbrauchen. Das geht am besten mit Bewegung jeder Art. Sport ist eine Möglichkeit. Mit dem Partner oder einem Hund spazieren gehen tut es auch. Während der Arbeit können Sie die Treppen nehmen und im Alltag möglichst viel zu Fuß machen. Auch das baut die Energie ab.

Gegen Konzentrationsschwierigkeiten helfen die Übungen, die auch gegen Wiedererlebensbeschwerden helfen (siehe PTBS 3 und PTBS 4).

Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit sind Ausdruck Ihrer Sorge um Ihre Sicherheit. Also sorgen Sie für Ihre Sicherheit! Nicht in allen, aber in vielen Traumageschichten finden sich Verhaltensweisen, die das Risiko, dass einem etwas noch einmal passiert, deutlich verringern. Einerseits wird Ihnen selbst klar sein, dass es sinnvoll ist, sich an das Tempolimit zu halten, bei Aquaplaning besonders vorsichtig zu sein oder darauf zu achten, dass die Lichter Ihres Fahrzeugs alle funktionieren. Es macht Sinn, sich von betrunkenen Personen fern zu halten und Menschen, die einen abwerten, schlagen und misshandeln, zu verlassen und anzuzeigen und die Unterstützung der Gemeinschaft, sprich des Staates, einer Beratungsstelle oder einer Therapeutin einzufordern. Es kann auch wichtig sein, sich klar zu machen, dass Sie auf das Verhalten anderer Menschen, einschließlich derer, die Ihnen besonders nahe stehen, nur sehr beschränkt Einfluss haben. Deswegen sind Sie auch nicht daran schuld oder dafür verantwortlich, was andere Menschen tun. Manchmal geht es auch „nur“ darum zu lernen, dass Sie heute Erwachsen sind, und Sie sich heute wehren können und dürfen. Ein Selbstschutzkurs kann Ihnen dann die passende Strategie vermitteln. Manchmal geht es auch nur darum zu lernen, auf sein Bauchgefühl zu hören, Ihre Intuition, Ihr Gefahrenradar oder ihren Schutzengel, die Sie vor Gefahren warnen (Noch mehr Sinn: Feinsinn).

Aber andererseits gibt es auch Ereignisse, deren Eintreten wir nicht verhindern können. Wenn es für Sie schwer ist, das für Sich zu akzeptieren, nehmen Sie die Hilfe einer erfahrenen Therapeutin in Anspruch.

Sollten Sie Sich plötzlich unsicher fühlen, dann schauen Sie Sich bewusst um. Vor allem nachts, wenn Sie aus einem Alptraum aufwachen und Angst haben, es ist jemand in der Wohnung: Stehen Sie auf und schauen nach! Ich nenne das Realitäts-Check: Wenn Sie um Ihre Sicherheit besorgt sind, dann prüfen Sie, dass Sie JETZT GERADE sicher sind! Das heißt nachts zum Beispiel: Aufstehen und durch die Wohnung gehen und nachschauen, dass niemand da ist, anstatt im Bett liegen zu bleiben und sich einzureden, dass man sicher ist (Noch mehr Sinn: Realitäts- und Wirklichkeitssinn).

Wenn die Erinnerungen auftauchen, Sie gerade erschrocken sind oder Sich zum x-ten Mal umgeschaut haben, dann prüfen Sie an der Realität, ob Sie jetzt gerade sicher sind. Machen Sie Sich bewusst, dass Sie jetzt gerade sicher sind und das, was immer Ihnen zugestoßen ist, vorbei ist. Sagen Sie Sich: „Ich bin jetzt sicher. Xxx ist vorbei. Xxx ist Vergangenheit. Das war wieder ein Fehlalarm meines Hirns.“

Geben Sie Ihrer Erinnerung einen Namen: Der Tod von Mutter, der Verkehrsunfall, der Mordversuch, die Vergewaltigung, der Missbrauch, der Mord an meiner Schwester, das Verschwinden meines Bruders, die Folter, der Einsatz in Beirut, der Überfall, der Selbstmord meines Mannes. Geben Sie der Erfahrung einen klaren, ehrlichen Namen. Benennen Sie es als das, was es ist. Es ist nicht „die Sache, die mir passiert ist“ und es ist nicht „der Fall“. Es ist ein wichtiges Ereignis in Ihrem Leben. Es hat die Richtung Ihres Lebens verändert. Benennen Sie diesen Punkt in Ihrer persönlichen Geschichte!

Weiter mit PTBS 7.

PTBS, Teil 5: Warum fühle ich mich ständig gestresst?

06.10.2013 Veröffentlicht von Definitionen, Erklärungsmodelle 0 Kommentare

Es kann durchaus länger dauern, sich zu konzentrieren, wenn Sie etwas sehr Belastendes erlebt haben. Sollten Sie Schwierigkeiten haben, lesen Sie den Text wieder und wieder bis Sie ihn verstehen.

Mit den bisherigen Artikeln ging es vorwiegend um das unerwünschte Wiedererleben der belastenden Erinnerung. Die zweite Gruppe der Beschwerden der Posttraumatischen Belastungsstörung wird als „Erhöhte Erregung“ bezeichnet. Darunter fallen Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Wutausbrüche, erhöhte Wachsamkeit und eine übermäßige Schreckreaktion.

Sie haben gelernt, dass eine belastende Erinnerung durch Trigger (Auslösereize) immer wieder aufgerufen wird. Daher kommen die wiederkehrenden Erinnerungsbilder, Körpererinnerungen, Geruchs- und Geschmackserinnerungen und auch Geräuscherinnerungen.

Gleichzeitig versetzt Ihr Limbisches System Ihren Körper wieder in Alarmbereitschaft. Sie erinnern Sich: Ihr Limbisches System ist Ihr Überlebenssystem UND Ihr Warnsystem. Die Bilder zeigen Ihnen WOVOR sie gewarnt werden (Warnsystem) und gleichzeitig bereitet Ihr Körper sich darauf vor, JETZT auf die Gefahr zu reagieren (Überlebenssystem). Blöd dabei ist nur, dass die meisten dieser Warnungen Fehlalarme sind, weil das Limbische System wahllos Reize abgespeichert hat, die einfach schlechte Warnreize sind. Ein Beispiel: Blaue Autos sind nicht gefährlicher als andersfarbige Autos. Farben werden aber häufig als Warnreize abgespeichert und lösen dann jedes Mal, wenn Sie ein blaues Auto sehen, die Überlebensreaktion aus. Die Farbe von etwas ist heutzutage meistens kein guter Warnreiz. Bei einem Verkehrsunfall könnten Regen und Dunkelheit gute Warnreize sein, weil das Unfallrisiko steigt, wenn es Aquaplaning hat und wir in der Dunkelheit schlechter sehen. Alle anderen Teile der Erinnerung an einen Verkehrsunfall sind keine guten Warnreize, lösen aber trotzdem die Überlebensreaktion aus.

Wenn der Körper fast ununterbrochen in Alarmbereitschaft ist, weil Ihr Hirn ständig behauptet: „Achtung, jetzt passiert gleich wieder was!“, dann werden Sie wachsamer sein, um die mögliche Gefahr dieses Mal rechtzeitig zu erkennen. Sie werden Sich umschauen und mögen vielleicht nicht mehr mit dem Rücken zur Tür sitzen. Wenn Sie jemand trotz erhöhter Wachsamkeit überrascht, werden Sie besonders erschrecken. Sie werden nur schwer zur Ruhe kommen und Schwierigkeiten mit dem Einschlafen haben. Wenn Sie dann noch Angst davor haben, Alpträume zu bekommen, wird das Einschlafen erst recht mühsam. Wenn Sie jemand ärgert (Bedrohung), werden Sie möglicherweise schneller ärgerlich und gereizt reagieren als sonst. Sie werden vielleicht auf kleinere Anlässe (Frust/Druck/Kritik/kleine Abweichungen vom Plan oder Ihren Erwartungen) mit einem Wutausbruch reagieren und sich selbst nicht mehr kennen.

Ihre Konzentration, also Ihre Fähigkeit Ihre Aufmerksamkeit zu lenken, ist eingeschränkt, weil Sie ständig auf die Fehlalarme (Wiedererleben/Warnsystem) reagieren müssen und gleichzeitig damit beschäftigt sind, mögliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen (Wachsamkeit/Überlebenssystem).

Schließlich haben Sie wegen der vielen Fehlalarme einen Haufen Energie zur Verfügung, die Sie nicht benötigen: Jede Menge Bewegungsenergie, die zum Kämpfen gedacht ist.

Die Frage ist also, was tun mit dem Durcheinander? Warnsystem? Überlebenssystem? Was können Sie gegen die Symptome der Erhöhten Erregung, die Sie aufgrund der Fehlalarme habe, tun?

Was tun Sie sonst, wenn Sie gestresst sind? Was hilft Ihnen normalerweise?

Sie können die Symptome bekämpfen in dem Sie zum Beispiel Lavendelduft gegen die Schlaflosigkeit oder Meditation gegen die Übererregung verwenden. Doch im Endeffekt sollten Sie langfristig die eigentliche Ursache der Symptome angehen – Ihre Fehlwahrnehmung von Warnreizen.

Weiter mit PTBS 6.

PTBS, Teil 3: Was tun gegen sich aufdrängende Erinnerungen?

30.09.2013 Veröffentlicht von Erklärungsmodelle, Strategien 0 Kommentare

Es mag sein, dass es Ihnen am Anfang sehr schwer fällt, diesen Text am Stück zu lesen und zu verstehen, aber geben Sie nicht auf! Lesen Sie die Zeilen wieder und wieder bis Sie sie verstehen. Auch wenn es einmal 10 Minuten oder länger dauert. Das kann durchaus sein, wenn Sie etwas sehr Belastendes erlebt haben. Nur Mut!

Mit dem letzten Artikel habe ich Ihnen erklärt, dass sich aufdrängende Erinnerungen entstehen, weil Ihr Limbisches System zufällig (Warn-)Reize abspeichert, die dann durch Trigger = Auslösereize immer wieder aktiviert werden. Sie haben auch gelernt, dass Trigger immer etwas mit dem ursprünglichen Warnreiz gemeinsam haben.

Was Sie in der Anfangszeit nach einem belastenden Lebensereignis nicht beeinflussen können ist, dass Trigger die Erinnerung immer wieder aufrufen.

Aber Sie entscheiden, wie lange Sie sich mit der Erinnerung beschäftigen.

Die Erinnerung ist nur dann belastend, wenn Sie Ihnen bewusst ist. Sie ist unangenehm, wenn Sie die Bilder vor Ihrem inneren Auge sehen, die Geräusche mit Ihrem inneren Ohr hören, Ihr Körper die Empfindungen wieder spürbar macht wie während der Belastungssituation oder Sie glauben, Gerüche wahrzunehmen, wie während der Situation oder Dinge zu schmecken wie damals. Sie ist belastend, weil Sie wieder Angst haben, vielleicht Todesangst oder sich ohnmächtig fühlen, ausgeliefert und hilflos.

Das heißt, zuerst ist es wichtig, dass Sie die Erfahrung machen, dass SIE entscheiden, womit Sie sich bewusst beschäftigen wollen. Das erreichen Sie am schnellsten, wenn Sie Ihr Bewusstsein mit der Gegenwart füllen, also mit dem, was Ihre Sinnesorgane jetzt gerade wahrnehmen.

Was sehen Sie jetzt gerade? Was hören Sie jetzt – im Raum oder weiter weg? Können Sie Ihre Füße auf dem Boden spüren? Was machen Ihre Hände gerade? Können Sie den Stuhl spüren, auf dem Sie gerade sitzen? Haben Sie ein Getränk in der Nähe und können einen Schluck nehmen und schmecken, welche Aromen Sie wahrnehmen? Oder haben Sie ein Parfum oder einen anderen riechenden Gegenstand, den Sie bewusst wahrnehmen können? Wonach duftet er?

Wenn Sie anfangen, sich darauf zu konzentrieren, was Sie gerade sehen, hören, schmecken, riechen und spüren, kann es hilfreich sein, das laut vor sich her zu sagen. Oder Sie können jemanden bitten, Ihnen aus der Erinnerungsattacke herauszuhelfen, indem er Sie danach fragt, was Sie gerade wahrnehmen. Diese Person kann genau nachfragen, was Sie wahrnehmen, also zum Beispiel, welche Formen, Farben, Oberflächen, Materialien. Ein Wollpulli hat eine andere Oberfläche als ein Baumwollhandtuch oder ein Holztisch oder ein Löffel.

Wenn ich mein Bewusstsein mit Gegenwart füllen möchte, dann würde sich das folgendermaßen anhören: Ich sehe vor mir den Bildschirm meines Computers. Ich höre Filmmusik dazu, eine Geige im Moment mit einem leicht melancholischen Thema, ich rieche den Duft von Beeren von meiner Kerze und mein Tee schmeckt nach Ingwer, ein bisschen zitronig und leicht scharf. Der Tee ist nur noch lauwarm, und jetzt sind viele Geigen zu hören und irgendwelche Bläser und das Klackern der Tastatur. Die Buchstaben werden rot unterstrichen, wenn ich einen Schreibfehler mache oder das Programm ein Wort wie zitronig nicht kennt und so weiter.

Machen Sie die Übung immer wieder und wieder. Diese Übung heißt übrigens „Hier und Jetzt“ und hilft Ihnen zu spüren, dass SIE entscheiden, worüber Sie nachdenken, selbst wenn etwas sehr Belastendes passiert ist.

Und nochmal: Es mag sein, dass es Ihnen am Anfang sehr schwer fällt, diesen Text am Stück zu lesen und zu verstehen, aber geben Sie nicht auf! Lesen Sie die Zeilen wieder und wieder bis Sie sie verstehen. Auch wenn es einmal 10 Minuten oder länger dauert. Das kann durchaus sein, wenn Sie etwas sehr Belastendes erlebt haben. Kommen Sie immer wieder zurück in die Gegenwart! Nur Mut!

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Die Hier-und-Jetzt-Übung: Eine ausführliche Anleitung

PTBS, Teil 2: Warum drängen sich die Erinnerungen auf?

29.09.2013 Veröffentlicht von Definitionen, Erklärungsmodelle 0 Kommentare

Weil unser Limbisches System, unser Überlebenssystem im Hirn, in einer Zeit in der Menschheitsgeschichte entstand, als wir noch im Fellröckchen herumliefen und auf der Speisekarte von wilden Tieren standen. Weil die Welt damals auf eine einfache, überschaubare Weise gefährlich war. Und weil das Limbische System einen Teil seiner Aufgabe heute noch genauso gut erledigt, wie vor Millionen Jahren und deswegen keine Weiterentwicklung notwendig war. Deswegen spreche ich auch gerne von Limbisches System 1.0 für alle Computerbewanderten. Die erste Version dieses Überlebensprogrammes läuft immer noch in unserem Hirn ab. Aber die Welt hat sich geändert. Unsere Art zu leben hat sich geändert. Daher die Probleme mit der veralteten Software, der veralteten Informationsverarbeitung.

Das Limbische System (rotes Oval im Kopf) hat zwei wichtige Aufgaben

1.    Es sorgt dafür, dass wir in einer Gefahrensituation überleben
2.    Es warnt uns vor Gefahren

Wenn wir über unsere Sinnesorgane Reize wahrnehmen, die unser Limbisches System für gefährlich hält, dann aktiviert es über Stresshormone die uns allen bekannte Stressreaktion. Wir atmen schneller, damit wir mehr Sauerstoff aufnehmen, der zusammen mit dem freigegebenen Blutzucker durch den höheren Herzschlag in die Muskeln transportiert wird, um uns dort als Kraft zur Verfügung zu stehen.

Da es um unser Leben geht und schnell gehen muss, geben uns Gefühle den Impuls für unser Verhalten, je nachdem, ob wir Handlungsstrategien zur Verfügung haben oder nicht. So müssen wir nicht lange nachdenken, sondern handeln „spontan“. Dabei verhalten wir uns so, wie es uns als erstes einfällt, unabhängig davon, ob das die beste Strategie ist oder nicht. Gefahren muss man schnell beseitigen, also handeln wir schnell. Wut zeigt uns an, dass wir Strategien haben, die Situation zu verändern (Kampf). Angst bringt uns dazu, die Situation zu verlassen (Flucht), weil wir keine Möglichkeit mehr haben, auf die Gefahr einzuwirken. Wenn wir die Situation nicht ändern und nicht verlassen können, beginnt unser Hirn einen Prozess der Notabschaltung, um uns vor einer Reizüberflutung zu schützen.

Diesen Zustand kann man als Erstarren bezeichnen, weil bestimmte Regionen im Gehirn tatsächlich abgeschaltet werden und Sie keinen Zugriff mehr darauf haben. Sprachverarbeitung gehört dazu. Aber auch die meisten anderen Denkleistungen sind davon betroffen. Das Erstarren kommt aus meiner Erfahrung in zwei groben Kategorien von Reaktionen.

Der panische Typ: Das sind Menschen, deren Hirn alle Denkprozesse abschaltet und die völlig von Gefühlen überrollt werden.

Der gefühlskalte Typ: Das sind Menschen, die keine Gefühle spüren, und scheinbar überlegt handeln. Oft berichten Sie, es fühle sich an, wie ein schlechter Film oder als ob sie neben sich stehen würden.

Beides sind Überlebensstrategien. Beides unterliegt nicht mehr der bewussten Kontrolle der Person, sondern ist ein Ausnahmezustand höchster Überforderung und Not.

Da unsere heutigen Bedrohungen zwar oft sehr gefährlich sind, aber selten mit dem Tod enden, überleben Menschen häufig. Ihr Gehirn muss nun mit den Eindrücken aus diesen Erfahrungen umgehen. Aber der erste Auftrag des Limbischen Systems ist erfüllt: Der Mensch hat überlebt! Es gibt also keinen Grund für eine deutliche Weiterentwicklung des Limbischen Systems. Das System tut, was es soll – erfolgreich.

Der zweite Auftrag, den Menschen vor ähnlichen Gefahren rechtzeitig zu warnen, führt aufgrund unserer Lebenssituation heute zu ständigen Fehlalarmen. Das ist es, was die Posttraumtische Belastungsstörung ausmacht: Viel zu viele Fehlalarme, die wir nicht als solche erkennen.

Als unsere Vorfahren von Säbelzahntigern angegriffen und gefressen wurden, speicherte unser Limbisches System alle Informationen zu dieser Gefahr ab: Die Fellfarbe des Tieres, seinen Geruch, die Größe des Tieres, sein Brüllen, die Gegend, in der man angegriffen wurde, die Tageszeit des Angriffs, das plötzliche Auftauchen aus hohem Steppengras, das Aussehen der Prankenabdrücke im Sand, die Zähne, das Gesicht des Tieres, seine Geschwindigkeit.

Jeder einzelne dieser Reize ist ein guter Warnreiz, weil JEDER Säbelzahntiger gefährlich ist und weil es deswegen gut ist, aufmerksamer zu sein, wenn man in der Steppe unterwegs ist. Wenn man aufmerksamer ist, kann man die Gefahr rechtzeitig erkennen und sich auf den Angriff vorbereiten und erfolgreich verteidigen.

HEUTE sind wir Gefahren ausgesetzt, die nicht immer gleich gefährlich sind. Nicht alle Autos sind gefährlich, nicht alle Männer sind gefährlich, nicht alle Schulen sind gefährlich, nicht alle Schüler sind gefährlich, nicht alle Betrunkenen sind gefährlich, nicht alle Ausländer sind gefährlich, nicht alle Flugzeuge sind gefährlich und so weiter.

Das bedeutet, dass wenn Sie etwas Belastendes erlebt haben, ihr Gehirn einen Haufen Reize abgespeichert hat, die Sie davor warnen sollen, wieder in die gleiche Gefahr zu kommen. Aber nicht alle dieser Reize sind gute Warnreize.

Wenn Sie einen Verkehrsunfall mit einem blauen Auto hatten, dann speichert ihr Gehirn vielleicht die Farbe Blau als Warnreiz ab. Wenn Sie dann ein blaues Auto sehen, kann es sein, dass Sie sich plötzlich wieder an Ihren Unfall erinnern, weil Ihr Gehirn sagt: „Achtung, Blaue Autos sind gefährlich, sei vorsichtig!“

Sie aber werden sich wundern, was jetzt mit Ihnen los ist, weil Sie plötzlich die Angst wieder haben, wie während des Unfalls, vielleicht sogar die Bilder vor Augen haben und nicht wissen, dass es die Art ist, wie ihr Gehirn versucht Sie zu warnen, weil Sie in dem Moment keine Gefahr wahrnehmen können, weil eben nicht alle blauen Autos gefährlich sind.

Bitte klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrößern.

Das heißt, immer wenn Sie mit den Erinnerungen an Ihr belastendes Erlebnis konfrontiert sind, wenn die Erinnerungen plötzlich auftauchen, gibt es einen Warnreiz und einen Auslösereiz, den wir auch Trigger nennen. Das Schwierige heutzutage ist, dass viele der Warnreize, die mit abgespeichert wurden, durch Dinge (Auslösereize/Trigger) ausgelöst (getriggert) werden können, die nur ähnlich zum ursprünglichen Reiz sind. In unserem Beispiel könnte die Warnung nicht nur durch blaue Autos ausgelöst werden, sondern auch durch blaue Müllsäcke. An der Stelle kann es dann wieder notwendig sein, einen Profi zu bitten, Sie bei der Suche nach den Warnreizen und Triggern (Auslösereizen) zu unterstützen.

Noch ein paar Beispiele:

Trigger / Auslösereiz
(Reiz in der Gegenwart)

Warnreiz
(Teil der Erinnerung)

Belastungssituation
(Erinnerung)

Scheinwerfer aller Art, ein grelles Taschenlampenlicht, ein Strahler im Theater

Scheinwerferlicht

Verkehrsunfall

Bratwurst, Banane, Zucchini

Männliches Geschlecht.

Sexuelle Gewalt

Zerbrechen eines Fensters, Zerschellen eines Trinkglases

Berstendes Glas

Auto- oder Busunfall

Eigenes Schnaufen beim Treppensteigen, Keuchen in einem Film

Atemgeräusche

Körperverletzung, sexuelle Gewalt

Eine Umarmung, ein Zusammenstoß beim Sport mit einem anderen Spieler

Druck auf das Brustbein (vom Sicherheitsgurt)

Verkehrsunfall

Schweißgeruch (Sport, handwerkliche Tätigkeiten, Sommerhitze)

Schweißgeruch des Täters

Körperverletzung, sexuelle Gewalt

Auslösereize (Trigger) haben immer etwas gemeinsam mit den im Gehirn abgespeicherten Warnreizen (Wahrnehmungen aus der belastenden Erinnerung).

Vielleicht achten Sie einmal darauf, was Auslösereize und Warnreize bei Ihnen sind? Oder fragen Sie die Person, für die Sie diesen Text lesen, welche Auslösereize Sie gemeinsam feststellen können.

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