„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

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Leserfrage: Warum ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine Krankheit, obwohl es immer heißt, es sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation? (Teil 4)

15.04.2022 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Welche Worte sind für die Beschreibung von psychischen Zuständen hilfreich und welche nicht? Warum die Worte „Krankheit, Makel, Defekt“ anstatt „psychische Störung“? Was ist der Einmal-Immer-Fluch? Darf ich Menschen, die mir nicht guttun aus dem Weg gehen? Natürlich. Ich bitte Sie darum, das zu tun.

All das waren Themen der erste drei Teile.

Es gibt so viele Momente im Alltag eines traumatisierten Menschen, die es noch zusätzlich schwer machen, das Erlebte auf eine gesunde Weise zu bewältigen. Angefangen von sogenannten Fachpersonen, denen das Interesse an ihrem Gegenüber verloren gegangen ist oder die einfach nicht ausreichend wissen, um hilfreich zu sein. Das Wissen um Traumreaktionen, deren Ursprung und ihre Bewältigung steckt an vielen Stellen noch in den Kinderschuhen. Da kann man angesichts von unwissenden Behördenmitarbeitern, Gutachterinnen und auch Therapeuten auch mal verzweifeln. Aber aufgeben ist keine Option!

Hoffnung, dass es besser werden kann, ist zutiefst menschlich.

Solange Sie weitersuchen, können Sie wohlwollende Menschen finden, die Sie so unterstützen wie es Ihnen guttut und Sie weiterbringt. Geben Sie die Suche nach einem Weg zu mehr Lebensfreude nicht auf. Egal wie schlecht Ihre Erfahrungen in der Vergangenheit waren. Denn die Vergangenheit hat mit der Zukunft nichts zu tun. Das ist auch so ein Denkfehler, den unser Sicherheit-und-Gewohnheiten-liebendes Hirn macht. Jeder neue Mensch, dem Sie begegnen ist einzigartig. Egal wie er aussieht oder wie seine Stimme sich anhört. Ihr Gehirn wird Ihnen vielleicht etwas anderes sagen. Aber wenn Sie ehrlich sind, können Sie nicht wissen, wie ein Mensch ist, bevor Sie ihn nicht kennengelernt haben – und zwar ohne ihn schon in eine Schublade zu stecken. So wie niemand gerne in eine Schublade gesteckt wird.

Es braucht willentliche Entscheidungen

Da auch Schubladen zu den psychischen Funktionen gehören, die uns in einer komplexen Welt helfen zu überleben, ist das oft nicht einfach und bedarf einer anstrengenden, willentlichen Entscheidung. Also geben Sie die Hoffnung nicht auf, dass Sie lernen können, wohlwollende von nicht-wohlwollenden Menschen zu unterscheiden und sich nur noch mit wohlmeinenden Menschen zu umgeben. Jeder Mensch kann lernen, sich zu schützen und für die eigenen Sicherheit zu sorgen. Gemeinschaft mit anderen und gesunde Beziehungen sind der beste Schutz. Jeder kann lernen, Beziehungen gesund zu führen.

Heilung ist immer möglich, mit Hoffnung und Durchhaltevermögen. Eine gute Portion Starrköpfigkeit kann da auch helfen.

Aber die PTBS wird als Krankheit angesehen, als Schuld des Betroffenen, weil man die betroffenen Menschen mit Menschen vergleicht, die die entsprechenden Erlebnisse nicht erfahren haben. Und den Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben wird gesagt, mit dir stimmt etwas nicht, du reagierst falsch, du fühlst falsch, du bist nicht okay. Und das hört egal wie weit die Forschung kommt einfach nicht auf. Ganz im Gegenteil. Immer wieder sind es gerade auch die Fachleute, die einem das so vorwerfen.

Wenn Ihnen das ein sogenannter Fachmann mit diesen Worten vorwirft, dann gehen Sie woanders hin. Es ist NICHT Ihre Schuld, was Ihnen passiert ist.

Schuld sind Täter. Punkt.

Aber, niemand außer Ihnen kann dafür sorgen, dass es Ihnen gut geht und sie sich wohl fühlen. Das ist sehr wohl Ihre Verantwortung. Das ist die Verantwortung, die für alle Menschen gleich ist, egal, was sie erlebt oder auch nicht erlebt haben. Es ist ungerecht, dass Sie Gewalt erlebt haben. Hat der Staat Sie geschützt? Nein. Er hat versagt. Gibt er Ihnen jetzt die Unterstützung, die Sie bräuchten? Sehr wahrscheinlich nicht. Sind alle Menschen Spinnen? Nein, ganz sicher nicht. Ihre Lebenserfahrungen und die Schlüsse, die sie daraus gezogen haben, kann Ihnen niemand abnehmen. Sie dürfen so leben wie Sie wollen. So wie alle anderen auch. Haben Sie es schwerer als viele anderen? Wahrscheinlich. Können Sie das ändern? Das kann ich natürlich nicht sagen, weil wir uns nicht kennen. Aber als erfahrene Traumatherapeutin habe ich schon viel Wunder gesehen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass Sie gesund werden können. Also alles lernen können, um die überwiegende Zeit zufrieden mit ihrem Leben und frei von Angst zu sein. Ist das leicht? Nein, im Gegenteil.

Aber nur Sie können diesen beschwerlichen Weg gehen.

Suchen Sie sich wohlmeinende Menschen, die mit Ihnen gehen. Davon gibt es mehr als man oft so denkt. Das wünsche ich Ihnen sehr.

Natürlich hoffe ich, dass meine Zeilen auch einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten, dass Sie besser verstehen, was es manchmal so schwer macht. Vieles hat mit Sprache zu tun und mit gegenseitigem Interesse und fehlendem Wissen. Aber Sprache kann man lernen, Wissen auch. Und Interesse kann man dem anderem ja auch als Betroffene entgegenbringen und wer weiß, was dann passiert?

Deswegen wünsche ich Ihnen den übernatürlichen Mut, immer wieder neu Menschen kennenzulernen und die Suche nach geeigneten Weggefährtinnen jeden Tag wieder hoffnungsvoll anzugehen. Dazu übermenschliche Kraft und eine gesunde Portion schwarzen Humor.

Ihre Stefanie Rösch

Trauma-Informations-Zentrum

Leserfrage: Warum ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine Krankheit, obwohl es immer heißt, es sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation? (Teil 3)

08.04.2022 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

In Teil 1 und 2 dieser Reihe habe ich festgestellt, dass die Begriffe „normal“ und „falsch“ ungeeignet sind, um psychologische Prozesse oder Zustände zu beschreiben. Der Begriff „psychische Krankheit“ wurde gegen den Begriff „psychische Störung“ ausgestauscht. Ich erklärt, warum ich eher sage, dass Belastungsreaktionen in der Belastungssituation gesunde Reaktionen und gesunde Verhaltensweisen sind.

Sie, liebe Leserin schreiben dann weiter:

Die Entwicklung einer PTBS infolge eines A-Kriterium-Erlebnisses wird immer noch als Anzeichen für einen Makel oder Defekt des Betroffenen angesehen. Wie soll ich denn davon geheilt werden zu wissen, dass es Menschen gibt, die andere Menschen so tiefgreifend verletzen, misshandeln, vergewaltigen und so weiter?

In meinen Augen geht es nicht darum, sich von Wissen zu heilen. Sondern wir wollen unsere Denk- und Verhaltensmöglichkeiten so erweitern, dass wir für möglichst viele Situationen gesunde Reaktionsmöglichkeiten haben. Das ist selbst nach jahrelangen Gewalterfahrungen möglich.

Ich sehe Traumabeschwerden nicht als Makel oder Defekt.

Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die psychische Beschwerden ebenfalls nicht so betrachten. Auf der anderen Seite gibt es weiterhin viel Unwissen über psychische Beschwerden oder darüber, was in einer Psychotherapie passiert. In der Regel ist es die Unwissenheit, die Menschen verunsichert. Und aus der Verunsicherung heraus werden dann solche dummen Worte verwendet.

Das wiederum bedeutet nur, dass Sie als Betroffene und ich als Psychotherapeutin noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten haben. Deswegen habe ich mich so über Ihre Mail gefreut, weil Sie mir damit die Möglichkeit zu einem weiteren aufklärenden Artikel gegeben haben. Danke dafür.

Ich verstehe nicht, warum man meine Reaktionen auf A-Kriterium-Ereignisse überhaupt als Krankheit, als Defekt, als Störung, als Makel ansieht, von dem man geheilt werden müsste, so, wie man von einem gebrochenen Bein geheilt werden müsste.

Also, ganz ehrlich, Menschen, die eine PTBS oder deren Symptome wörtlich als Makel oder Defekt bezeichnen, sollten Sie aus Ihrem Leben streichen. Das sind Menschen, die keine Ahnung haben und Ihnen nicht guttun. Also fernhalten.

Sie haben die Wahl

Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie wie jeder andere an unserer Gesellschaft teilhaben können, dann gibt es keinen Grund für Heilung oder Behandlung. Wenn es Ihnen oft schlecht geht oder Sie oft Angst haben, dann können Sie, wenn Sie wollen, in einer Psychotherapie lernen, weniger Angst zu haben und sich öfter gut zu fühlen. Oder Sie sind damit zufrieden, sich schlecht zu fühlen. Auch okay. Ihr Leben, Ihre Entscheidung.

Allerdings ist es in der Regel so, dass Menschen mit einem gebrochenen Bein von allein zum Arzt gehen. Während wir das bei psychischen Problemen ganz häufig nicht oder erst sehr spät tun. Einfach weil der Schmerz vom gebrochenen Bein so klar und gesellschaftlich anerkannt ist, dass die allermeisten Menschen zu einem Arzt gehen. Seelischer Schmerz, ständige Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht erkennen wir nicht als Anzeichen von etwas, das Heilung oder Behandlung bräuchte. Deswegen geht das oft schief. Ist so ein gesellschaftliches Ding, das weitere Aufklärung benötigt.

Die Bezeichnung meiner Reaktionen als krankhaft und damit auch die Bezeichnung meiner aus den Ereignissen gezogenen Lebenserfahrungen und Schutzmaßnahmen als Ausfluss von Unvernunft und Krankheit zu verstehen, das verstehe ich ebenfalls nicht. Es erscheint mir umso mehr unlogischer, wenn Sie doch schreiben, dass das Gehirn damit eigentlich genau den Job macht, den es machen sollte. Es erkennt eine Gefahr und zieht daraus eine Lernerfahrung.

Also wenn Sie jemandem begegnet sind, der das so sagt und sieht, dann empfehle ich Ihnen nochmal: halten Sie sich von diesem Menschen fern.

Für mich ist die Frage, ob Ihre Schutzmaßnahmen zielführend sind und ob es zusätzliche Schutzmaßnahmen und Verhaltensweisen gibt, die Sie lernen wollen, um sich noch freier und sicherer zu fühlen.

Das Gehirn hat in der Bedrohungssituation einen guten Job gemacht, weil Sie noch leben.

Allerdings gibt es ein paar biologische Mechanismen die in Kombination mit unserer komplexen Welt heute, nicht mehr so gut zusammenspielen wie zu Säbelzahntigerzeiten. Deswegen haben wir heute Traumareaktionen. Zu Säbelzahntigerzeiten gab es das in dieser Form wie heute nicht. Da bin ich sehr von überzeugt.

Wichtig ist, das Gehirn tut IN der Bedrohungssituation immer noch einen guten Job. Die Überlebensreaktion funktioniert noch sehr gut. ABER das Gehirn macht für heutige Verhältnisse einen gravierenden Denkfehler. Deswegen entstehen dann die Traumareaktionen NACH der Bedrohungssituation.

Wenn ich einen Verkehrsunfall mit einem roten Auto habe, dann kann es sein, dass das Gehirn hinterher glaubt, ALLE roten Autos sind gefährlich. Das stimmt ja aber nicht.

Ich nenn das den Einmal-Immer-Fluch.

Das Gehirn verallgemeinert. Zu unserem Nachteil. Noch schwieriger wird es bei zwischenmenschlicher Gewalt, wenn sie früh im Leben geschieht. Dann kann der Einmal-Immer-Fluch zu der Überzeugung führen, dass ALLE Männer (Wahlweise Frauen) gefährlich sind. Das stimmt bezogen auf alle Männer in diesem Land oder auf der Welt ganz sicher nicht. Aber natürlich kann es für die Welt stimmen, in der ein Kind lebt. Deswegen ist die Schlussfolgerung aus der Gewalterfahrung für das Kind korrekt und gesund. Für den später erwachsenen Menschen stimmt es dann nicht mehr. Da führen diese Überzeugungen dann immer wieder zu Konflikten oder Ängsten, was ungesund ist.

Wenn ich von einer Spinne gebissen wurde und deswegen fast mein Leben verloren hätte, ist es doch keine krankhafte Reaktion, fortan Spinnen zu meiden oder zumindest gehörigen Abstand von ihnen zu halten. Vor allem, wenn ich weiß, dass ich in einer Welt voller Spinnen lebe und Spinnen eben einfach nicht kontrollieren kann. Spinnen können schneller laufen als ich. Selbst, wenn ich fliehen würde, hätte ich keine Chance.

Also wenn ich das Beispiel jetzt mal wörtlich nehme, dann ist es zwar nachvollziehbar, dass man eine Angst vor Spinnen entwickelt und sie in Zukunft vermeidet – was ja richtig viele Menschen tun und das bezeichnet man dann unter Umständen sogar als Spinnenangst, also Spinnenphobie.

Aber selbst wenn es viele Spinnen gibt, und so viele gibt es dann eben doch nicht. Also wenn ich jetzt durch meine Wohnung gehen würde, würde ich wahrscheinlich mit viel Suchen ein oder zwei finden. Im Winter finde ich draußen gar keine und im Sommer sehe ich sie auch nur, wenn ich früh unterwegs bin und genau hinschaue. Also zumindest bei mir hier in der Stadt sind Spinnen eher unsichtbar. Dann sind die Spinnen, die wir hier haben, in der Regel nicht giftig und wenn dann nur ganz wenig giftig. Aber nicht lebensbedrohlich. Spinnen können sicher nicht schneller laufen als ich, auch wenn sie sehr schnell sind.

Mir ist klar, dass Sie das Wort Spinne als Bild für Tätern verwenden. Deswegen schreiben Sie weiter:

Denn seien wir ehrlich, im Endeffekt ist man als Kind eine Ameise in der Umgebung von Spinnen. Als Frau ist man eine Ameise gegenüber der physischen Überlegenheit von Männern. Als Mensch mit psychiatrischer Diagnose ist man eine Ameise in der Gegenwart von übermächtigen Spinnen mit allen Machtbefugnissen, die man sich so vorstellen kann und niemand, nicht einmal die Justiz stellt sich dieser Übermacht der Tyrannosarurus Rex-Spinnen auch nur ansatzweise entgegen.

Natürlich sind nicht alle Spinnen so, aber die Gefahren sind doch nun mal da. Und wenn man eine Kostprobe von jeder einzelnen dieser Gefahren bekommen hat, immer wieder von Spinnen gebissen wurde, egal, wie vorsichtig man von Mal zu Mal wurde, warum soll man dann nicht große Skepsis entwickeln? Spinnen möglichst aus dem Weg gehen? Es ist doch klar, dass jemand, der diese Erfahrung noch nicht gemacht hat, weniger skeptisch ist. Die Skepsis ist doch dann aber kein Makel im Betroffenen, sondern schlicht und ergreifend eine Folge seiner Lebenserfahrungen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass die anderen krank sind, die trotz dieser Lebenserfahrungen weitermachen wie bisher, oder nicht?!

Ich stimme Ihnen zu, dass Sie als Kind keine Chance haben gegenüber Erwachsenen und dass unsere Gesellschaft Kinder nicht ausreichend schützt.

Was die körperliche Überlegenheit von Männern angeht, bin ich schon nicht mehr ganz Ihrer Meinung. Zuerst muss es einem Mann gelingen, mich zu fassen zu bekommen. Das heißt, ich kann aufmerksam sein, mich vorbereiten und fernhalten. Ich kann auch lernen, mich gegen einen Angriff zu verteidigen. Freunde von mir haben eine erstklassige und sehr einfache Technik entwickelt, mit der man sich Zeit zur Flucht verschaffen kann. Ja, wenn ein Mann mich in einem Raum alleine hat und zu packen bekommt, habe ich schlechte Möglichkeiten. Aber dazu muss es ja erstmal kommen. Ich habe sehr viele Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass das gar nicht erst geschieht.

Das Erleben von Ohnmacht angesichts von im besten Fall unwissenden, schlecht oder gar nicht weitergebildeten Ärzten und Gutachtern kann einem die Haare weiß werden lassen. An der Stelle bin ich wieder voll bei Ihnen. Ja, unser Sozial- und Rechtssystem, bzw. die Menschen, die es vertreten, kennen sich nach wie vor sehr schlecht mit Traumareaktionen aus. Entsprechend schlecht sind die gefällten Entscheidungen, die dann meist zum Nachteil von Betroffenen ausfallen. Das ist schlimm und das ist ein weiterer Grund, warum ich meine Fortbildungen anbiete und schreibe.

Ich gebe Ihnen auch Recht, dass Sie diesen „Spinnen“-Menschen aus dem Weg gehen sollten. Suchen Sie weiter nach wohlmeinenden Menschen. Die gibt es auch. Es gibt gebildete Gutachter und auch wissende Mitarbeitende in Behörden. Entscheidend ist, nicht aufzugeben. Das ist es, was die anderen tun. Die geben nicht auf. Und das finde ich sehr gesund.

Im letzten Teil dieser Antwort soll es um die Schuld gehen, Menschen, die uns nicht guttun, Hoffnung und die Entscheidung, gesund sein bleiben oder zu werden.

In diesem Sinne bleiben Sie gesund und hoffnungsvoll, Ihre Stefanie Rösch

Trauma-Informations-Zentrum

Leserfrage: Warum ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine Krankheit, obwohl es immer heißt, es sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation? (Teil 2)

01.04.2022 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Im ersten Teil ging es darum, dass „normal“ kein geeigentes Wort ist, um über die PTBS zu sprechen. Stattdessen sollten wir vielleicht genauer sagen, eine PTBS entsteht aus einer gesunden Reaktion auf eine bedrohliche Situation. Psychische Störungen werden als Störung und nicht mehr als Krankheit bezeichnet, weil wir davon ausgehen, dass überlebensnotwendige psychische Prozesse nicht gesud ausgeführt werden können, also gestört sind. Ein Beispiel war die Ursachenzuschreibung.

Es gibt viele verschiedene psychische Funktionen, die durch Lebenserfahrungen auf eine ungesunde Weise verändert werden.

Die Ursachenzuschreibung ist nur einer von vielen psychischen Prozessen, die mit der Wahrnehmung und Interpretation von Reizen zu tun haben. Wie wir lernen oder Entscheidungen treffen oder Gefühle steuern gehören auch zu diesen wichtigen Funktionen unseres Gehirns. Es gibt viele psychische Prozesse, mit denen wir auf unsere Umwelt reagieren. Wenn Prozesse „gestört“ ablaufen, dann ging es in der Vergangenheit des betroffenen Menschen meistens ums Überleben, körperlich und/oder psychisch.

Solange es uns mit unserer Reizverarbeitung gut geht, bezeichnen wir das „offiziell“ als gesund. Wenn es jemandem damit schlecht geht, dann fühlt er oder sie sich „krank“ oder „gestört“. Damit wir ihn oder sie behandeln dürfen, müssen wir eine Diagnose stellen.

Das heißt, die Vorstellung, dass ein Zustand gestört ist, hat damit zu tun, dass jemand darunter leidet, wie er mit den Anforderungen des Lebens umgeht. Er oder sie nimmt selbst einen Unterschied zwischen sich und anderen Menschen wahr und fühlt sich schlecht damit. Entscheidend dafür, dass wir etwas als Störung (früher Krankheit) bezeichnen, ist also bei der PTBS und den meisten anderen psychischen Störungen das subjektiv empfundene Leid.

Worte sind oft nicht sehr eindeutig

Dazu kommt, dass Sprache leider oft nicht so eindeutig ist, wie wir das gerne hätten.

Neulich erzählte mir jemand, dass ihr Hausarzt sagte: „Sie sind nicht geimpft.“ Obwohl die Person zwei Impfungen hatte, nur die Auffrischung halt noch nicht. Was ist jetzt richtig? Ist sie nun geimpft? Sie selbst empfand sich als geimpft. Oder ist sie nicht geimpft? Das war das Empfinden des Arztes. Wer hat nun Recht? Und ist das wichtig?

Richtig wird es in meinen Augen dann, wenn beide daran interessiert sind, sich gegenseitig zu verstehen, und sich darum bemühen, die Bedeutung von Worten im Zweifel gemeinsam festzulegen. Sprache ist nicht eindeutig, auch wenn wir das gerne hätten. Aber da tut sich thematisch ein ganzes Universum auf. Deswegen gehe ich mal zurück zu Ihren Fragen. Falls sie sich dafür interessieren, können Sie hier weiterlesen:

Was ist denn falsch an uns oder unserer PTB-Reaktion?

Falsch“ ist für mich an dieser Stelle kein geeigneter Begriff.

Es ist nichts an Ihnen oder anderen Betroffenen falsch. Auch an der PTBS und ihren Symptomen ist nicht falsch.

Falsch setzt voraus, dass es ein eindeutiges Kriterium gibt. Was psychische Prozesse angeht wüsste ich nicht, was das sein sollte. Wir können sagen, dass ein Verhalten oder Gedanke gesund sind, wenn sie die Funktion erfüllen, für die sie gedacht sind. Also ist es gesund, wegzulaufen, wenn man sich bedroht fühlt. Oder es ist gesund, sich zu wehren, wenn man angegriffen wird und geeignete Möglichkeiten hat, sich zu wehren. Gesunde Verhaltensweisen helfen uns Probleme zu lösen, für Sicherheit zu sorgen und die Herausforderungen im Leben so zu bewältigen, dass es uns damit gut geht.

Ungesunde Verhaltensweisen bewirken, dass es uns schlecht geht. Das ist keine Definition für ein bestimmtes Verhalten. Also „Weglaufen“ ist nicht gesund oder ungesund, sondern in manchen Situationen ist weglaufen eine gesunde Reaktion, weil es uns zum Beispiel das Leben rettet. In einer anderen Situation ist es ein ungesundes Verhalten, weil es verhindert, dass man einen wichtigen Konflikt löst. Das macht einen auf Dauer unglücklich. Was also gesund oder ungesund ist, hängt eher von der Situation ab und beschreibt nicht ein bestimmtes Verhalten.

Deswegen sind Belastungsreaktionen in der Belastungssituation gesunde Reaktionen und gesunde Verhaltensweisen.

In einer anderen Situation sind sie nicht unbedingt gesund.

Während einer Vergewaltigung ist eine Dissoziation eine gesunde Reaktion, die dazu beiträgt, dass man so etwas überleben kann. An der Supermarktkasse ist dissoziatives Erleben eher hinderlich und damit ungesund. Wenn ich einem Täter auf offener Straße begegne, kann eine Dissoziation verhindern, dass ich für meine Sicherheit sorgen kann. An der Stelle wäre die Dissoziation ungesund in meinen Augen. Dabei rede ich jetzt nur vom erwachsenen Menschen, nicht von Kindern.

Und wovon soll der Betroffene geheilt werden? Gibt es bei einer PTBS überhaupt Heilung?

Ja, es gibt Heilung. Heilung bedeutet in diesem Zusammenhang: alles zu lernen, was notwendig ist, um sich wieder oder zum ersten Mal im Leben die meiste Zeit gut und frei zu fühlen. Dazu gehört für mich auch, liebevolle Beziehungen zu führen und Konflikte zu lösen. Wer heil ist, kann einer Arbeit oder Aufgabe nachgehen, die ihm oder ihr Freude bereitet und mit der man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Hobbys zu haben und seinen Alltag ohne Angst bewältigen zu können, gehören für mich ebenfalls zu einem gesunden Leben. Heil sein, bedeutet sich gesund zu fühlen.

Ob die PTBS tatsächlich ein Makel oder Defekt von Betroffenen ist, darum wird es nächste Woche gehen.

Bis dahin wünsche ich Ihnen wie immer viel Kraft, Ihre Stefanie Rösch

Trauma-Informations-Zentrum

Leserfrage: Warum ist die PTBS eine Krankheit, obwohl es immer heißt, es sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation? (Teil1)

26.03.2022 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Hallo Frau Rösch,

Ihre Beiträge zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind sehr gut verständlich. Aber ein Aspekt fehlt mir irgendwie.

Es heißt doch, die PTBS sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation. Warum wird die PTBS dennoch als Krankheit geführt?

Liebe Leserin,

herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte und die spannenden Fragen.

Ganz grundsätzlich definieren wir eine Psychische Störung am empfundenen Leid. Also eher an der Tatsache, dass Betroffene selbst den Eindruck haben, dass etwas nicht mit ihnen stimmt und dass sie unter ihren Beschwerden leiden. Zu diesen Beschwerden gehören ständige Erinnerungen an das Erlebte mit den dazugehörigen belastenden Gefühlen. Dazu gehören auch Alpträume, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme, welche das Familienleben oder die Ausübung eines Berufes stark und dauerhaft beeinträchtigen. Das ausgeprägte Vermeidungsverhalten hindert Betroffene an einem freien Leben. All das verursacht für Betroffene Leid und ein Gefühl von Belastung. Das ist der Grund, warum die PTBS als psychische Störung bezeichnet wird. In der Regel heutzutage nicht mehr als Krankheit.

Ja, ich schreibe von einer gesunden Reaktion auf eine bedrohliche Situation, aus der es kein Entkommen gibt.

Normal“ finde ich persönlich ein unglückliches Wort.

Schließlich ist es durchaus normal, dass im Grunde fast jeder Mensch einmal in seinem Leben eine Erfahrung macht, die traumatisch wirken könnte. Insofern dürften wir das Wort „normal“ in diesem Zusammenhang nicht mehr benutzen. Normal heißt in der Psychologie ungefähr zwei Drittel von 100%. Also wenn zwei Drittel von 100% der Bevölkerung ein bestimmtes Verhalten zeigen, dann gilt das als „normal“. Das ist ein mathematischer, in diesem Fall ein statistischer Begriff.

Natürlich benutzen wir das Wort auch, wenn etwas für uns selbstverständlich oder sehr nachvollziehbar ist. Über Rot zu gehen ist dagegen durchaus normal, weil man es selbst auch schon oft getan hat.

Ich denke, dass diese Formulierung der Versuch von Wissenschaftlern war, dem Eindruck von Betroffenen zu entsprechen. Wenn Sie Opfer einer Straftat werden, dann finden Sie das nicht normal, weil es Ihnen in der Regel das erste Mal passiert ist.

Sie merken, das ist ein schwieriger Begriff in diesem Zusammenhang.

Deswegen sollten wir vielleicht genauer sagen, eine PTBS entsteht aus einer gesunden Reaktion auf eine bedrohliche Situation.

Die Diagnose der Posttraumatische Belastungsstörung wird in der Regel gestellt, wenn Sie als Betroffene sich so schlecht fühlen, dass Sie Hilfe dafür suchen.

Zum Thema Diagnosen stellen habe ich mich an anderer Stelle bereits ausgelassen.

Wir nennen Gruppen von psychischen Beschwerden (Schlafprobleme, Ängste, Erinnerungsattacken, Flashbacks…) inzwischen psychische Störung (PTBS, Depression, Psychose,…), weil wir die Ursache für diese Beschwerden im ungesunden / gestörten Ablauf psychischer Prozesse sehen. Gesund bedeutet dabei immer: So, dass es Ihnen damit gut geht.

Zum Beispiel geht es um psychische Prozesse wie die Ursachenzuschreibung.

Wenn wir als Menschen davon überzeugt sind, dass die Welt nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung funktioniert, dann sehen wir die Welt auch so. Also wenn ich von einer Spinne gebissen werde (Ursache) ist es natürlich, dass ich Angst habe (Wirkung). Ich komme gar nicht auf die Idee, dass ich die Angst zufällig haben könnte.

Wir gehen von einer Ursache (Biss)-Wirkungs (Angst)-Beziehung aus, beispielsweise weil der Biss weh getan hat. Vielleicht habe ich die Spinne gesehen. Ich habe den Schmerz wahrgenommen und zusammen mit der Vorstellung, dass die Spinne giftig sein und ich sterben könnte, habe ich dann Angst bekommen. Also finde ich es logisch, dass ich Angst vor der Spinne habe. Allerdings würde sich das Ergebnis in dem Beispiel schon ändern, wenn ich sicher weiß, dass es nicht die Spinne war, die mich gebissen hat, sondern die Biene war, die mich gestochen hat. Oder das Ergebnis ändert sich, wenn ich mir sicher bin, dass die Spinne kein tödliches Gift hat oder wenn ich weiß, was ich gegen den Biss tun kann, um ihn unschädlich zu machen. All diese anderen Gedanken verändern das Erleben des Schmerzes im Zusammenhang mit dem Biss einer Spinne und damit auch das Entstehen von Angst vor Spinnen.

Ob ich also auf Spinnen mit Angst reagiere, hängt nicht allein vom Biss ab, sondern von vielen anderen Faktoren, die ich in meinem Kopf in Ursache- und Wirkungsbeziehungen zueinander setze. Menschen sind sehr komplex. Meine Erklärung gilt für das Beispiel mit der Spinne, nicht aber für Gewalterfahrungen durch Mitmenschen. Da wird es noch deutlich komplexer.

Dazu nächste Woche mehr…

Bis dahin viel Kraft für die nächsten Tage, Ihre Stefanie Rösch

Trauma-Informations-Zentrum

Leserfrage: Wie wirkt sich das Nähe-Distanzverhältnis in der psychosozialen Beratung von Menschen mit einer diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus?

21.08.2021 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare
Trauma-Informations-Zentrum

Liebe Leserin,

Eine Posttraumatische Belastungsstörung wirkt sich im Leben von Betroffenen an vielen Stellen aus. Lesen Sie dazu meine PTBS-Reihe. Ein Bereich sind Beziehungen und damit der Umgang mit Nähe und Distanz.

Eine PTBS von Klientinnen wirkt sich natürlich auch auf die Arbeit von Mitarbeitenden in psychosozialen Berufen aus. Ein wichtiger Faktor ist die Beziehung und damit das Thema „Nähe und Distanz“. Schauen wir uns das zusammen an.

Nähe und Distanz: Für PTBS-Betroffene

Über Nähe und Distanz drücken wir Respekt aus. Wir drücken Zuneigung darüber aus. Nähe und Distanz sind wichtige Faktoren für unsere Sicherheit. Nur in körperlicher Nähe kann man Gewalt ausüben. Sexuelle Gewalt, körperliche Gewalt geht nur über Nähe und Anfassen.

Zu viel Nähe empfinden wir als respektlos. Wir fühlen uns bedroht, wenn uns jemand zu nahekommt und wir das nicht wollen.

Zu viel Distanz gibt uns vielleicht das Gefühl von Einsamkeit oder auch von Schutzlosigkeit, von Verlust.

Ganz besonders spielt dieses Thema eine Rolle, wenn PTBS-Betroffene Opfer von menschlicher Gewalt wurden. Im Gegensatz zu Betroffenen von Naturkatastrophen oder Kriegserfahrungen ganz allgemein. Wenn Körperlichkeit eine besondere Rolle bei der Traumatisierung gespielt hat, beispielsweise durch Verletzungen oder traumatische Operationserfahrungen, kann Nähe und Distanz oder Berührung ebenfalls ein schwieriges Thema sein.

Nähe und Distanz: In der Arbeit mit PTBS-Betroffenen

Für Helfer bedeutet es in erster Linie, dass zu viel Nähe Erinnerungsattacken auslösen können. Nähe kann also eine Warnreaktion bewirken. Ich erkläre das gerne mit den Worten: „Das Hirn verwechselt die Situation gerade. Ich bin nicht der Täter oder die Täterin und deswegen wird jetzt nichts passieren. Sie sind sicher.“

Wenn die Erinnerungsattacke schon am Laufen ist, kann man versuchen, Betroffene mit der Hier und Jetzt Übung dabei zu unterstützen, den Flashback zu beenden.

Flashbacks können wir weder in der therapeutischen noch in der beratenden Tätigkeit vollständig verhindern.

Foto von GM Rajib von Pexels

Das ist in meinen Augen auch nicht das Ziel. Betroffene wollen lernen, Flashbacks möglichst schnell wieder zu beenden und dadurch zu erleben, dass sie sehr wohl Kontrolle darüber hat, was das Hirn mit Ihnen macht. Flashbacks hören irgendwann wieder auf. Wie das geht, lernt man in einer Traumatherapie.

Grundsätzlich ist es aber einfach. Wenn wir als Helferinnen einfach fragen, was noch okay ist und was nicht, sind wir auf der sicheren Seite. Wenn wir den Abstand respektieren, den der andere benötigt, sollte es okay sein. Wir können den anderen in der Beratung und in der Therapie viele kleine Dinge entscheiden lassen, zum Beispiel die Sitzposition oder ob unser Gegenüber etwas zu trinken möchte oder nicht.

Eine PTBS beeinträchtig nicht die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Symptome sind schlimm, aber Betroffene leben in der Regel schon eine Weile damit und haben oft herausgefunden, wie sie Flashbacks vermeiden können oder was ihnen guttut oder nicht. Danach können Sie als Beratende erstmal fragen und das berücksichtigen, um Ihrer Beratungstätigkeit nachzugehen.

Was wenn der oder die Betroffene seinen oder ihren Körper nicht spürt?

Wenn Betroffene eine kPTBS (komplexe Posttraumatiche Belastungsstörung) haben, also komplex traumatisiert sind, dann kann es sein, dass man demjenigen über viele Jahre hinweg abgesprochen hat, selbst zu entscheiden, was noch angenehm ist oder eben auch nicht. Welche Berührungen er oder sie mochte und welche eben nicht. Wenn die Grenzen eines Menschen wieder und wieder ignoriert wurden oder vielleicht sogar mit Gewalt auf den Versuch reagiert wurde, sich zu wehren, dann kann es besonders schwierig sein eine respektvolle Zusammenarbeit herzustellen.

Dann ist es umso wichtiger Abstand zu halten und auf kleinste Anzeichen von Angst und Rückzug zu achten. Ein anderer Anhaltspunkt für einen guten Abstand ist, was wir selbst noch angenehm finden und im Zweifel darauf noch eine Armlänge dazuzurechnen.

Lieber ein wenig mehr Abstand als zu viel Nähe.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit, Ihre Stefanie Rösch

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Ihre Stefanie Rösch

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