Noch mehr Sinn: Gemeinschafts- und Familiensinn
03.04.2015 Veröffentlicht von Stefanie Rösch Lesestoff 2 KommentareEines der Grundbedürfnisse nach Maslow ist das Zugehörigkeitsgefühl. Das betrifft sowohl unsere kulturelle Zugehörigkeit, wie die Zugehörigkeit zu unseren Familien oder anderen Formen der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Der Mensch ist ein Beziehungstier, ein Herdentier, nur selten ein Einzelgänger, der ohne andere Menschen existieren will.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie stark die Verbindung ist, die wir zu unseren Familien haben. Der Sinn für unsere Familie sitzt tief. Selbst wenn Menschen Jahre lang Gewalt durch die Ursprungsfamilie erleben, zieht es Kinder zur Familie. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als Liebe und selbst nach Jahren sehnen wir uns nach Annahme, Vergebung und Bedingungslosigkeit – durch die Eltern, Geschwister, nahestehende Menschen.
Zwei Menschen gehen eine Verbindung ein, die anders ist als andere Beziehungen. Mann und Frau oder gleichgeschlechtliche, partnerschaftliche Beziehungen, das spielt keine Rolle. Das Besondere der Beziehung ist entscheidend. Diesen einen Menschen an der Seite zu haben, auf den man sich bedingungslos verlassen möchte, der zu einem steht, einen auffängt und einem den Rücken freihält, egal was man tut. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die sagen diese Form der Beziehung nicht zu vermissen oder nicht zu wollen. Für mich ist das immer wieder schwer nachzuvollziehen. So viel verbreiteter erlebe ich die Sehnsucht nach dieser bedingungslosen, familiengleichen Beziehung.
Was wird nicht alles unternommen, wie wird geworben, gezähmt, verführt, beschenkt oder wie wird sich in partnerschaftlichen Beziehungen unterworfen, gedemütigt und beherrscht. Wie werden Opfer gesucht, bedroht und gewaltsam unterworfen aus Angst vor – unter anderem dem Alleinsein. Wie viele Menschen haben genau davor Angst, vor der Einsamkeit? Sie halten es nicht mit sich selbst aus oder fühlen sich dem Leben nicht gewachsen ohne so etwas wie eine Familie, eine Partnerschaft. Diese eine besondere Beziehung, die wir so oft überfordern und doch so sehr brauchen. Wäre Beziehung nicht so wichtig, würden wir nicht auf Beziehungen angewiesen sein, um unsere Grundbedürfnisse befriedigt zu bekommen, wie einfach und gewaltfrei könnte die Welt sein. Wie gut könnte es uns gehen, hätten wir kein Bedürfnis nach Nähe, nach Zugehörigkeit, nach Partnerschaft oder Gemeinschaft.
So sehr wie der Kampf ums Überleben uns entzweien kann, so sehr brachte und bringt er uns im Angesicht der Katastrophe zusammen. Auch das etwas, das wir alle kennen, vielleicht nur aus der Presse oder von Freunden und Kollegen, wenn man das Glück hatte, noch nie eine Katastrophe miterleben zu müssen, die nur in der Gemeinschaft überlebt und bewältigt werden kann. An allen Ecken und Enden finden wir den Ausdruck dieser Gemeinschaft in der Not. Ob Kriseninterventionsdienste oder Notfallseelsorge. Ob eine gute Freundin oder ein Psychotherapeut. Es wirkt die Beziehung, die echte Beziehung und wir spüren es. Immer wieder treffe ich Menschen, die sich in Beziehungen nicht wohlfühlen. Frage ich nach, stellt sich nicht selten heraus, dass sie das Gefühl haben, ihr Gegenüber würde sich nicht wirklich für sie interessieren. Weiter nachgefragt, woran sie das festmachen, fehlen oft die Worte und macht sich Verunsicherung über die eigene Einschätzung breit. Aber ist es nicht genau das? Das Gespür dafür, wie sich eine Beziehung richtig anfühlt? Auch wenn man es nicht in Worte fassen kann?
Wir wissen, dass wir Beziehungen brauchen, etwas wie Familie, am besten echte, heile und zuverlässige Familie. Wir spüren, wie die Beziehung sein müsste, damit es uns gut geht, auch wenn wir nicht immer in der Lage sind, das in Worte zu fassen. Wir sehnen uns danach, wir suchen sie auf die für uns mögliche Art und Weise. Wir haben einen Sinn dafür, wir können uns in unserer Sehnsucht nach Beziehungen wahrnehmen und wissen, tief in uns, wie es sich richtig, gesund anfühlen würde. Das nenne ich Familiensinn: die Freude an der Gemeinschaft mit der eigenen Familie, die Sehnsucht nach derselben und das tiefe Wissen darum, wie sich gesunde Beziehungen anfühlen. Das gleiche gilt in meinen Augen für den Gemeinschaftssinn. Unser Sinn dafür, dass wir alleine nicht überleben können. Der Sinn, der uns spüren lässt, was notwendig ist, um Gemeinschaft haben zu können, auch wenn es nicht immer die gesündesten oder freiesten Verhaltensweisen sind, die wir dafür im Alltag einsetzen. Doch auch hier bin ich davon überzeugt, dass wir spüren, wie es sich gesund anfühlen würde.
Wo haben Sie gute Gemeinschaft? Wie ist das Verhältnis innerhalb Ihrer Familie? Möchten Sie etwas ändern oder ist es gut so wie es ist? Oder – darf es so sein, wie es ist? Können Sie den Zustand spüren, wie sich eine gute Beziehung für Sie anfühlt? Können Sie das in Worte fassen?