„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

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Achtung Gott: Leserfrage: Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern? (1)

13.08.2016 Veröffentlicht von Achtung Gott!, Leserfragen 2 Kommentare

Ich bin Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung und arbeite mit einer sehr guten Traumatherapeutin. Leider ist sie keine Christin. Ich aber schon. Mein Problem ist, ich bete das Vaterunser. Bei dem Wort „Vater“ denke ich „himmlischer Vater“. Das hat geholfen. Die Trennung zwischen den zwei unterschiedlichen Vätern.

Aber dann kommt „vergib unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern..“ Ja, da ist das Problem. Ich spreche das aus, kann aber nicht vergeben – zumindest nicht umfassend. Wie soll ich etwas (umfassend) vergeben, was ich nicht weiß? Letztens wurde mir eine CD mit einer Predigt gegeben. Sie enthielt die Geschichte von dem Knecht dem von seinem Herrn ein riesiger Schaden vergeben worden ist und der kurz danach seinem Mitknecht eine kleine Sünde nicht vergab (Matthäus 18, 23 -25). Es tut weh, denn ich nehme meinen Glauben ernst. Ich würde mich freuen, Ihre Sicht zu lesen. Vielen Dank

Liebe Leserin,

Danke für Ihr Vertrauen und Ihre Frage. Vergebung ist tatsächlich ein Thema, das uns Christen immer wieder sehr beschäftigt und bei dem ich als Therapeutin immer wieder erlebe, dass man von Betroffenen erwartet, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen.
Aus meiner Erfahrung heraus, ist Vergebung der letzte Schritt in einem oft langen Heilungsprozess. Nicht der erste. Folgende Überlegungen dazu:

1.    Die Unschuldsvermutung
Ich kann nur eine Schuld vergeben, wenn ich sicher weiß, ob etwas geschehen ist, das Schuld für den Verursacher bedeutet. Wenn ich es nicht sicher weiß, dann gehe ich persönlich erstmal von der Unschuldsvermutung aus: Was ich nicht erinnere, ist erstmal nicht geschehen. Wenn es in meiner Erinnerung oder in meinen Symptomen keinen Hinweis auf einen Schuldigen oder schuldhaftes Verhalten gibt, dann gehe ich davon aus, dass nichts geschehen ist. Ich muss nicht annehmen, dass mehr geschehen ist als ich erinnere. Das ist meine Entscheidung und diese Entscheidung fälle ich zu meinen und als Christin auch zu Gunsten des Täters. Die geschieht indem ich davon ausgehe: Wenn ich nichts erinnere, dann ist auch nichts geschehen, was mein Leben negativ beeinflusst. Im Grunde halte ich mich damit auch an unser Deutsches Recht.
Wenn ich mich dann irgendwann erinnere, dann setze ich mich damit auseinander. Wenn ich Beschwerden habe, dann habe ich Erinnerungen, egal auf welcher Ebene: Bilder, Geräusche oder Gesagtes, Gerüche, einen Geschmack oder auch eine Körpererinnerung. Dann muss ich mich damit auseinandersetzen.

2.    Anerkennen
Wenn ich erfahre, weil ich mich erinnere, dass ich zum Opfer gemacht wurde, dann ist der erste notwendige Schritt in der Heilung in meinen Augen die Anerkennung der Erfahrung: Es ist wirklich passiert. Das ist oft nicht einfach, weil der Mensch nicht möchte, dass schlimme Dinge passieren. Wir wollen nicht ohnmächtig sein und möchten am liebsten leugnen, was uns zugestoßen ist. Aber es ist wichtig sich selbst einzugestehen: Ja, das ist mir passiert.

3.    Verantwortung übernehmen
Der nächste Schritt ist für mich zu beobachten, welche Auswirkungen das Erlebte auf mich hat und welche Gefühle damit verbunden sind. Es gibt immer Ohnmacht, Wut und Angst. Manchmal gibt es auch verwirrendere Gefühle wie Erleichterung, Scham, Erregung. Es ist wichtig, alle Gefühle zu spüren und anzuerkennen, zu würdigen und auszudrücken. Dazu gehört für mich auch, die Verantwortung für diese Reaktionen und die Beschwerden zu übernehmen. Ich kann nicht schlafen, ich bin gereizt, ich falle immer wieder zurück in alte Verhaltensweisen, ich trinke, ich nehme Medikamente, ich habe die Erinnerungen, ich habe die Schmerzen, ich empfinde all das, also sind all diese Beschwerden allein meine Verantwortung. Das macht keine Aussage über die Schuld. Nur darüber, wer die Macht hat, Veränderung zu bewirken.

4.    Heilung: Beschwerden besiegen
Niemand außer uns selbst kann die psychischen und körperlichen Folgen jeglicher Verletzung heilen– mit Gottes Hilfe. Gott hat uns die Macht zur Heilung mitgegeben: Der Körper heilt sich selbst. Behandler können nur die Bedingungen verbessern, manchmal bis zu dem Punkt, dass Heilung überhaupt erst möglich wird. So hat Gott uns auch die Fähigkeit zu einem gesunden und vernunftbegabten Geist gegeben (2. Timotheus 1,7), der es uns erlaubt, Macht über uns selbst zu haben. Wir sind zur (inneren) Freiheit berufen (Galather 5, 13 ff). Die Methoden der körperlichen Heilung hat unser Körper bereits mitbekommen. Für die psychologische Seite gibt es Psychotherapeuten, die einem heilsame Strategien beibringen.

5.    Vergebung: Erkennen, dass der Täter keine Macht hatte
Wenn es mir dann besser geht und ich die Folgen und Symptome bereits am Besiegen bin, dann kann ich mich nochmal der Ursache, dem Täter zuwenden. Dann aber hat er nicht mehr die Macht, weil ich mir die Macht über meine Gesundheit bereits erobert habe. Dann gibt es zwar noch eine Schuld, da der Täter die Ursache für mein Leid gesetzt hat, aber ich habe entschieden, was ich daraus mache. Jeden Tag wieder neu.
Was immer er bewirkt hat, darüber hatte er nie Macht, sondern immer nur ich. So gibt es nichts mehr, was der Täter tun kann, um seine Schuld zu begleichen. Denn die Symptome hätte er sowieso nie wegnehmen können. Das war immer mein Job und meine Freiheit als Betroffene oder Betroffnener.
Das ist der Zeitpunkt im Heilungsprozess, an dem ich vielleicht und hoffentlich erkennen kann, dass auch der Täter nur aus seiner Vergangenheit heraus gehandelt hat, sich vom Bösen hat zur Angst verführen lassen und aus der Angst heraus anderen Angst und Leid zugefügt hat. Wenn ich das erkenne, dann kann ich, das ist meine (Rösch) ganz, persönliche Erfahrung, anfangen zu vergeben. Dem Täter die Schuld zu erlassen, weil ich sehe, dass alles, was ich jetzt noch tue, ist mich selbst an den Täter zu binden, wenn ich weiter auf die Schuld schaue, die nicht beglichen werden kann. Ich mache mich selbst ohnmächtig. Ich unterstelle mich dem Täter und seinem Handeln, anstatt die Freiheit in Anspruch zu nehmen, die Gott mir zugesagt hat.
Ich stelle mir das so vor als wenn der Täter insolvent geworden ist. Da ist nichts mehr (Gerechtigkeit / Wiedergutmachung / Begleichung der Schuld) zu holen, weil der Täter (emotional, spirituell) bankrott ist. Also erlasse ich ihm seine Schuld und gebe die Schuld an Gott ab (bei der irdischen Insolvenz schalte ich die Behörden ein). Dadurch löse ich mich vom Täter. Ich kann weitergehen und jemand anderes kümmert sich um die Schuld. In unserem Fall Gott.

Ich vertraue – inzwischen – tief darauf, dass Gott für Gerechtigkeit sorgt, wo es uns nicht möglich ist. „In meinem Himmel“ ist ein Film, der mit dieser Gerechtigkeit endet, auch wenn das vielleicht nicht das Erzählziel des Filmemachers war. Aber es ist das, wie ich dieses Ende verstehe. Gott sorgt für Gerechtigkeit. Weitere Filme, die mir mit dem Thema Vergebung geholfen haben sind Grace Card (Filmbesprechung) und Philomena (Filmbesprechung).

Ich glaube auch, dass es einfach wichtig ist, genau das zu tun, was Sie getan haben: Andere zu fragen, wie sie mit diesem Thema umgehen um Gott auch auf diese Weise eine Möglichkeit zu geben, zu uns zu sprechen. Mal abgesehen davon, dass ich tief und fest glaube, dass Gott uns vor allem dann weiterhilft, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Solange wir es selbst lösen können, traut er uns zu, es auch selbst hinzukriegen. Er glaubt ja an uns. Er weiß, was wir können. Er hat uns geschaffen. Er hat seine ganz eigene Art, uns dann zu überraschen und zu ermutigen, wenn wir schon fast nicht mehr glauben wollen, dass er da ist.

Ich wünsche Ihnen und allen, die auch mit dem Thema Vergebung ringen, heilsame Begegnungen und Gottes Segen.

Ihre Stefanie Rösch

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Leserfrage: Kann ich es schaffen, nie wieder zu erstarren, wenn ich bedroht werde?

22.07.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Liebe Frau Rösch, ich habe eine Frage…
Wenn eine Person eine traumatische Erfahrung macht und in der Situation erstarrt, obwohl sie rein theoretisch hätte die Flucht ergreifen können, was kann die Person tun, damit ihr etwas ähnliches nicht wieder passiert? Ich denke an eine Person, die als Teenager sexuell missbraucht wurde und 25 Jahre später nochmal. Es waren verschiedene Orte und Situationen und Personen. Nun ist die Angst da, dass es wieder passiert. Was kann die Person tun, um nie wieder erstarrt zu sein? Das macht mich etwas ratlos.

Liebe Leserin,

das sind zwei verschiedene Themen für mich.

Zum einen die Frage nach (1) der Stressreaktion und der Schreckstarre als einer möglichen Reaktion und (2) zum anderen die Frage der Wiederholung, bzw. der Risikominimierung.

Zu (1) bin ich der Auffassung, dass wenn das Notfallprogramm der Stressreaktion (Notabschaltung = Erstarrenreaktion) einer Person X darin besteht, dass Sie in die Schreckstarre fällt, dann ist daran nichts zu ändern. Ich glaube aufgrund meiner Erfahrung, dass wir eines der drei Reaktionsmuster (Schreckstarre, Panik oder Emotionslos) als „Grundprogrammierung“ mitbekommen haben. Ich glaube, dass wir das nicht ändern können. Einen Beweis für diese Annahme gibt es nicht.

Allerdings können Sie auf der Ebene von (2) Kampftechniken und der Flucht, also den Verhaltensebenen VOR der Notabschaltung (Kampf / Flucht/ Erstarren) sehr viel tun. Sie können lernen, wie Sie sich sicher verhalten können, so dass das Risiko, wieder Opfer einer solchen Straftat zu werden, möglichst gering gehalten wird (Risikominimierung). Dazu ist es sinnvoll, sich genau anzuschauen, wie es zu den Taten kam und welche Vorsorge man heute, als erwachsene Person treffen kann, um nicht nochmal in eine vergleichbare Situation zu kommen. Das ist etwas, das man nur in einem Einzelgespräch und mit entsprechendem Wissen über Täterverhalten und Sicherheitsverhalten beantworten kann.

Wenn in der Betrachtung der Situation die Flucht theoretisch möglich gewesen wäre (unter der Voraussetzung, dass das tatsächlich der Fall war!! – was für Kinder zum Beispiel nicht unbedingt anzunehmen ist), dann kann man lernen, diese Möglichkeit viel früher zu sehen und als Kampftechnik einzusetzen, indem man die Situation zu einem Zeitpunkt verlässt, an dem sie noch nicht so bedrohlich ist, dass man erstarrt und seine Möglichkeiten eben nicht mehr sieht. Dass man diese Möglichkeit nicht mehr wahrnehmen kann, hat in der Regel damit zu tun, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne sehr gering ist und wir uns in Gefahrensituationen voll und ganz auf die Gefahr konzentrieren und dann keinerlei Reize in unserem Umfeld mehr wahrnehmen KÖNNEN. Auch keine Fluchtmöglichkeit mehr.

Man kann das Risiko nicht völlig ausschalten, dass schlimme Dinge passieren. 100%ige Sicherheit gibt es nicht. Aber man kann eine Menge tun, um nicht (erneut)Opfer zu werden. Man kann ebenso einiges tun, um nicht ständig in Angst leben zu müssen. Eine gute Traumatherapie sollte all das bieten.

Herzliche Grüße
Stefanie Rösch

Leserfrage: Wie finde ich die goldene, gesunde Mitte?

20.06.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 2 Kommentare

Ich versuche gerade mich selbst zu verstehen. Ich hatte vor ein paar Jahren ein Burnout. In den letzten Wochen war ich wieder soweit. Es geht mir heute etwas besser und so beschäftige ich mich mit den Ursachen dieses Zustands. Ich sehe wie sehr ich mich in einem Spannungsfeld bewege. Auf der einen Seite der Anspruch meiner Eltern an mich, der heute mein Anspruch an mich selbst ist, Leistung zu bringen. Da ist viel Härte & Druck mir selbst gegenüber, ich „muss“ viel erreichen, überfordere mich, nehme keine Rücksicht auf meine Grenzen, es „muss“ Leistung kommen.
Auf die andere Seite gibt es diesen Anteil, der sich verweigert – ich will gar nichts tun, habe keine Lust auf irgendwas, will nur in Ruhe gelassen werden, versäume, mich um Wichtiges zu kümmern und tue letztendlich gar nichts mehr.
Beide Pole tun mir nicht gut, aber beide sind sehr stark. Vom Kopf her betrachtet, wäre der Weg der goldenen Mitte der richtige, aber ich kenne nur die Extreme und weiß nicht, wie ich auf den „gesunden Weg“ komme. Ich weiß nur, dass ich innerlich frei werden möchte, von dem was andere mir eingetrichtert haben. Diese Verweigerungshaltung des anderen Pols bringt mich ja auch nicht weiter. Können Sie mir helfen?

Liebe Leserin,

nein, ich kann Ihnen nicht helfen. Aber ich kann Ihnen meine Gedanken zu Ihren Gedanken mitteilen. Vielleicht ist ja etwas dabei, das Sie benutzen können, um sich selbst weiter Richtung Gesundheit zu bewegen. Das machen Sie im Übringen schon sehr gut, indem Sie sehr genau beschreiben, wie es an Ihnen zieht und zerrt. Sie beschreiben so treffend, woher die Gedanken kommen und dass Sie Ihnen nicht gut tun. Sie denken auch schon, dass die goldene Mitte der Weg sein könnte.

Das sind alles gute Ideen. Ich führe sie mal ein wenig weiter: Die goldene Mitte? Ich weiß nicht, ob es das gibt. Ich glaube, wir sind im gesunden Zustand eher wie ein Pendel, das schwingt und immer wieder durch verschiedene Phasen und Zustände hindurchschwingt. An den Umkehrpunkten der Pendelbewegung sind die gesunden Extreme: Maximale Leistung und komplette Entspannung und Erholung. Wir bewegen uns wahrscheinlich nicht so gleichförmig wie es ein Pendel tut, aber wir sind ständig in Bewegung und sehnen uns gleichzeitig nach Ruhe, nach Balance, nach der Mitte. Der gesunde Weg ist Bewegung. Dazu gehört zu akzeptieren, dass wir in Bewegung sind und es okay ist, zwischen den Extremen hin und her zu pendeln.

Gesund ist es auch, wenn das Pendel nur so weit schwingt, wie es auf eine gesunde Weise kann. Es schwingt aus sich heraus und wird nicht von jemandem angeschubst. Ich denke immer, diese inneren Stimmen – Sie wissen, es sind die Stimmen Ihrer Eltern – diese Stimmen schubsen uns an und das auf eine Weise, die uns nicht gut tut. Als Kinder glauben wir, wir müssen uns schubsen lassen, weil wir ja geliebt werden wollen. Es erscheint uns ganz natürlich, dass wir uns schubsen lassen müssen (zu was auch immer), um auf diese Weise dafür zu „bezahlen“, dass wir geliebt werden, dass für unsere Sicherheit gesorgt wird und wir versorgt werden. Dieser Zustand ist für uns so natürlich, weil wir ihn so gewohnt sind und nie etwas anderes kennengelernt haben. Wir reagieren so hoch automatisiert, dass wir ihn nie anzweifeln. Wir zweifeln erst dann, wenn wir an einen Punkt kommen so wie Sie gerade: Überfordert, dem Zusammenbruch nah oder schon zusammengebrochen.

Aber im Grunde ist es so, dass die Überforderung notwendigerweise eine Gegenbewegung braucht. Insofern können Sie diesen inneren Anteil, der sich verweigert als den Versuch einer gesunden Gegenbewegung sehen. Ihr Hirn / ihre Seele versucht Ausgleich zu schaffen. Gut, dass Sie das schon bemerken!

Ich könnte mir vorstellen, dass es für Sie hilfreich sein könnte, ausführlich über folgende Sätze nachzudenken: Ich entscheide, was ich tue. Ich sorge gut für mich. Ich muss nicht, aber ich kann.

Immer wenn diese inneren Antreiber „Du musst“ sagen, können Sie es bemerken und versuchen zu entgegnen „Ich muss gar nichts, aber ich kann.“

Das wären gesunde Gedanken gegenüber den Giftigen Gedanken, die „muss“ enthalten.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Stefanie Rösch

Leserfrage: Angehörige von PTBS-Betroffenen stellen Fragen.

16.05.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 1 Kommentare

Ich beschäftige mich seit ein paar Wochen mit dem Thema PTBS aber ich finde noch keine spezielle Hilfe für Partner/Angehörige eines PTBS-Betroffenen.
Es gibt so viele Fragen. Zum Beispiel möchte ich gerne wissen, wie ich als Angehörige so einem erkrankten Menschen begegnen soll oder sollte? Kann man als Angehöriger/ Partner auch eine Therapie begleiten oder sollte man das nicht tun? Wie geht man mit Betroffenen um? Oder kann eine partnerschaftliche Beziehung überhaupt funktionieren?

Liebe Leserin,

Danke für Ihre Fragen. Ich bin sicher, es gibt noch mehr Menschen, die diese Fragen haben und für Sie und alle anderen hier ein paar Antworten aus meiner Erfahrung.

(1) Wie kann ich als Angehörige so einem erkrankten Menschen begegnen?

So wie mit jedem anderen Menschen auch: Man nimmt ihn ernst und man unterstützt ihn, gesund zu werden. Allerdings nicht, indem man ihm ungefragt etwas oder gar alles abnimmt, wovor er Angst hat, sondern indem man ihn dabei überstützt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Machen Sie Betroffenen Mut sich professionelle Hilfe zu holen und motivieren dazu, sich den Ängsten zu stellen. Da kann es vorübergehend notwendig sein zu begleiten, aber das Ziel ist für mich immer, das Leben wieder alleine und selbstständig gestalten zu können.

(2) Kann man als Angehöriger/ Partner auch eine Therapie begleiten oder sollte man das nicht tun?

Klar kann man eine Traumatherapie begleiten. Vor allem kann man, wenn man gut angeleitet wird, den PTBS-Betroffenen dabei unterstützen, die Kontrolle über seine Symptome wiederzuerlangen und ihm helfen, seine Übungen (gegen Erinnerungen 1, gegen Erinnerungen 2) zu machen, die er, wie ich finde, von seinem Therapeuten für den Alltag bekommen sollte.

(3) Kann eine partnerschaftliche Beziehung überhaupt funktionieren?

Ja, es gibt ausreichend Berichte darüber, dass eine Partnerschaft funktioniert und funktionieren kann. Ich sehe es ja tagtäglich. Es braucht Geduld, Durchhaltevermögen und auch die Fähigkeit, sich gegen das Leid des anderen abzugrenzen und ihm, sein Problem und das Leid „zu lassen“. Das Leid ist Aufgabe des Betroffenen. Nur er oder sie kann das verändern. Als Angehöriger kann man die Hilflosigkeit mit aushalten, die eine traumatische Erfahrung in das Leben von Betroffenen bringt. Und man kann das Üben (siehe oben) unterstützen. Dann kann das gehen.

Aus meiner Erfahrung geht das so lange gut, wie der PTBS-Betroffene daran arbeitet, gesund zu werden. Wenn er in der Opferrolle verharrt, dann wird es in absehbarer Zeit meist schwierig für das Umfeld.

Was es auch behindert ist, wenn Angehörige selbst Lebenserfahrungen gemacht haben, die es ihnen schwer machen, dem anderen sein Leid zu lassen anstatt es auf die eine oder andere Art zu übernehmen oder durch sein (unbewusstes) Verhalten zu verlängern.

(4) Vielleicht haben Sie ja einen Tipp oder eine Buchempfehlung wie ich damit umgehen kann oder sollte?

Im Grunde müssten Sie die wichtigsten Informationen hier finden (PTBS kompakt). Darunter finden Sie auch eine Buchempfehlung.

Gerne dürfen Sie weitere Fragen schicken. Nutzen Sie dafür bitte das Kontaktformular.

Viel Erfolg!

Leserfrage: Das tiefe Erdloch von Mima

22.02.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Manchmal ist es schwer, Worte dafür zu finden, wie es sich anfühlt, wie es in einem aussieht. Mima hat mir und Ihnen, liebe Leser, ihre Worte zur Verfügung gestellt. Vielleicht können diese Worte anderen helfen, zu sagen, wie es sich anfühlt. Wie ein tiefes Erdloch, das einen verschlingen will, aus dem es kein entkommen zu geben scheint, in dem man gefangen und vergessen ist. Ungehört um Hilfe ruft. Doch wenn man nicht aufgibt, wird man gehört werden, wenn man weiterkämpft, kann man hinausfinden. Nur nicht aufgeben!

Danke Mima für diesen Text. Vielleicht können Sie damit anderen Mut machen, Worte zu suchen und zu finden und wer möchte, darf sie mir gerne schicken, damit wir gemeinsam Worte für all die unaussprechlichen Zustände und Empfindungen finden und einander darin durch Geschichten unterstützen.

Vielen Dank!

Das tiefe Erdloch

von Mima

Eigentlich war ja alles ganz gut. Warum sich dieses Erdloch aufgetan hat? Keine Ahnung. Ich merkte nur, wie der Boden unter meinen Füßen wegbrach, ich unaufhaltsam in die Tiefe glitt und die nachrutschende Erde mich unter sich begrub. Es war unendlich dunkel und kalt. Mir blieb die Luft weg und ich hatte keine Ahnung, ob ich jemals wieder Licht sehen würde. Ich war verschüttet in einer Depression. Doch mein Wunsch, wieder ans Licht zu kommen, gab mir die Kraft! Ich hatte die Kraft, die Erde, die über mir war, Handvoll um Handvoll, zu durchdringen. Luft, eine Ahnung von Licht. Aber so tief und eng ist dieses Loch! Kaum vorstellbar, aus eigener Kraft hier wieder rauszukommen. Meine Rufe bleiben ungehört. Und so war das erste, mich selbst von der über mir liegenden Erde, die mich bedeckt hatte, zu befreien. Ein tiefes, schwarzes, enges Erdloch, ich ganz alleine hier drin, über mir ganz weit kaum wahrnehmbar das Licht.

Ich will aus diesem Loch raus! Wie stell ich’s an? Ich versuche, an den Erdwänden nach oben zu klimmen. Aber ich rutsche immer wieder ab und die Kraft, die mich dieses Hochklettern wollen kostet, ist unermesslich groß, das Ergebnis immer dasselbe – ich rutsche zurück an den Grund des Erdlochs. Es muss eine andere Lösung geben. Meine Rufe bleiben ungehört. Ich kann mir nur selber helfen. So beginne ich, wieder Handvoll um Handvoll, Erde unter meine Füße zu bringen. Immer zugleich mit der Sorge, die Wände könnten anfangen zu rutschen, es könnte mich wieder neu begraben. Mit jeder Handvoll Erde, die ich unter meine Füße bringe, komme ich ganz langsam und unendlich mühsam voran. Das Erdloch weitet sich Millimeter für Millimeter, Zentimeter für Zentimeter, verändert sich, wird mehr eine Grube. Manchmal rutscht Erde nach, bricht vom Rand der Grube ein kleiner Erdrutsch, aber der begräbt mich nicht! Er macht, dass ich, so anstrengend es im ersten Moment sein mag, so bedrohlich das im ersten Moment gewirkt hat, ein paar Millimeter, ein paar Zentimeter mehr Erde unter meine Füße bekomme! Und so arbeite ich Tag für Tag. Fast kann ich schon den Rand der Grube greifen! Ich rufe wieder. Und wenn ich selber merke, dass die Erde unter meinen Füßen immer mehr wird, kommt von oben, wenn ich wieder rufe nur, dass ich ja immer noch da unten sitzen würde. Ja, ich sitze noch drin. Aber ich arbeite mich doch aus der Grube raus! Siehst Du denn nicht, dass ich Tag für Tag ein wenig höher komme? Dass die Grube nicht mehr ein enges Loch ist sondern sich immer mehr weitet? Dass hier sogar Platz wäre, ohne Gefahr noch ein wenig Erde dazu zuschütten, ohne mich zu gefährden? Bitte, kipp doch ein ganz klein wenig Erde in die Grube, mach, dass die Grube sich stetig, Millimeter für Millimeter, Zentimeter für Zentimeter, füllt. Ich weiß doch jetzt, wie ich die Erde, die von oben kommt, festtreten muss, damit mir keine Gefahr droht, wieder verschüttet zu werden. Aber Du lehnst ab. Du siehst nur, dass ich in der Grube bin. Dass die Grube sich Tag für Tag verändert, dass inzwischen – weil sie am oberen Rand schon so weit geworden ist – das Licht mich wieder länger bescheinen kann, als zu Anfang, als die Grube ein schmales tiefes Loch war. Du nimmst es nicht wahr.

Endlich! Endlich merke ich, ich kann den Rand greifen! Noch ein wenig! Und vielleicht reicht meine Kraft sogar, mich wirklich aus der Grube rauszuziehen? Wieder bitte ich um Hilfe. Eine ungeschickte Bewegung macht, dass ich nochmal abrutsche. Und indem Du mir beim Rutschen zusiehst, kommt aber nicht Deine helfende Hand sondern wieder, ich säße ja immer noch da unten. Gut. Ich bin auf mich gestellt. Das habe ich jetzt schmerzlich begriffen. Aber es hilft nichts. Ich will aus der Grube raus. Nicht für Dich. Ganz für mich selber! Und vielleicht ist es auch besser, dass ich das ganz alleine schaffen muss. Meine Arme sind stark geworden. Meine Hände haben Kraft. Ich schaffe das, wenn ich nur jetzt nicht aufgebe.

Ich muss mich doch eigentlich gar nicht über den Rand schwingen. Wenn ich mit dem Erde unter die Füße bringen weitermache, ist die Grube nachher nur noch eine weite Senke. Vielleicht die bessere Lösung. Ich werde die Stelle wiedererkennen, wo es mich in die Tiefe gerissen hat. Ich will nicht, dass da ein tiefes, enges Erdloch ist. Ich will nicht, dass da eine Grube ist, in die ich wieder hineinfallen kann. Ich will, dass es nur noch eine Senke ist. Und ich weiß dann, ich habe mit eigenen Händen, mit eigener Kraft dieses Erdloch zur Grube geweitet, Erde am Grund der Grube festgetreten, bis nur noch eine Senke blieb. Und so arbeite ich weiter.

Dein Blick ist so gestört! Siehst Du denn nicht den Unterschied zwischen einem Erdloch, einer Grube, einer Senke? Und dann ist es soweit. Eine Senke. Kaum noch wahrnehmbar fügt sie sich in ihrer Weitläufigkeit in die Landschaft meines Lebens ein. Oh! Schön! Da sind Menschen! Menschen, die mir Samen geben, diese Senke zu bepflanzen! Ein paar Gräser, ein paar Blumen. Sogar ein Strauch! Und – ich kann es kaum glauben – ein Baum! Etwas, das stabil in der Erde stehen wird und kraftvoll wachsen. So einen Baum kann man nicht übersehen. Nicht einmal Du! Dein Erstaunen. Noch begreifst Du nicht wirklich, was geschehen ist. Und auf einmal erschrickst Du über Dich selbst. Es überrollt Dich und ich spüre Dein Erzittern oder ist das etwa…. Achtung! Pass auf! Nein! Nicht Du… und ich greife Dich mit meinen kräftigen Händen. Ich umfasse Dich mit meinen erstarkten Armen. Ich halte Dich. Und wir knien uns hin und schauen in das Erdloch, das soeben Dich verschlingen wollte. Und wir beginnen es mit Erde zu füllen. Handvoll um Handvoll. Millimeter um Millimeter. Zentimeter um Zentimeter. Und ich sehe, wie unbeholfen Du Dich dabei anstellst – und ich begreife, dass Deine Blindheit nur Deine Unbeholfenheit überdecken sollte.

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