„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

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Leserfrage: Warum ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine Krankheit, obwohl es immer heißt, es sei eine normale Reaktion auf eine abnormale Situation? (Teil 4)

15.04.2022 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Welche Worte sind für die Beschreibung von psychischen Zuständen hilfreich und welche nicht? Warum die Worte „Krankheit, Makel, Defekt“ anstatt „psychische Störung“? Was ist der Einmal-Immer-Fluch? Darf ich Menschen, die mir nicht guttun aus dem Weg gehen? Natürlich. Ich bitte Sie darum, das zu tun.

All das waren Themen der erste drei Teile.

Es gibt so viele Momente im Alltag eines traumatisierten Menschen, die es noch zusätzlich schwer machen, das Erlebte auf eine gesunde Weise zu bewältigen. Angefangen von sogenannten Fachpersonen, denen das Interesse an ihrem Gegenüber verloren gegangen ist oder die einfach nicht ausreichend wissen, um hilfreich zu sein. Das Wissen um Traumreaktionen, deren Ursprung und ihre Bewältigung steckt an vielen Stellen noch in den Kinderschuhen. Da kann man angesichts von unwissenden Behördenmitarbeitern, Gutachterinnen und auch Therapeuten auch mal verzweifeln. Aber aufgeben ist keine Option!

Hoffnung, dass es besser werden kann, ist zutiefst menschlich.

Solange Sie weitersuchen, können Sie wohlwollende Menschen finden, die Sie so unterstützen wie es Ihnen guttut und Sie weiterbringt. Geben Sie die Suche nach einem Weg zu mehr Lebensfreude nicht auf. Egal wie schlecht Ihre Erfahrungen in der Vergangenheit waren. Denn die Vergangenheit hat mit der Zukunft nichts zu tun. Das ist auch so ein Denkfehler, den unser Sicherheit-und-Gewohnheiten-liebendes Hirn macht. Jeder neue Mensch, dem Sie begegnen ist einzigartig. Egal wie er aussieht oder wie seine Stimme sich anhört. Ihr Gehirn wird Ihnen vielleicht etwas anderes sagen. Aber wenn Sie ehrlich sind, können Sie nicht wissen, wie ein Mensch ist, bevor Sie ihn nicht kennengelernt haben – und zwar ohne ihn schon in eine Schublade zu stecken. So wie niemand gerne in eine Schublade gesteckt wird.

Es braucht willentliche Entscheidungen

Da auch Schubladen zu den psychischen Funktionen gehören, die uns in einer komplexen Welt helfen zu überleben, ist das oft nicht einfach und bedarf einer anstrengenden, willentlichen Entscheidung. Also geben Sie die Hoffnung nicht auf, dass Sie lernen können, wohlwollende von nicht-wohlwollenden Menschen zu unterscheiden und sich nur noch mit wohlmeinenden Menschen zu umgeben. Jeder Mensch kann lernen, sich zu schützen und für die eigenen Sicherheit zu sorgen. Gemeinschaft mit anderen und gesunde Beziehungen sind der beste Schutz. Jeder kann lernen, Beziehungen gesund zu führen.

Heilung ist immer möglich, mit Hoffnung und Durchhaltevermögen. Eine gute Portion Starrköpfigkeit kann da auch helfen.

Aber die PTBS wird als Krankheit angesehen, als Schuld des Betroffenen, weil man die betroffenen Menschen mit Menschen vergleicht, die die entsprechenden Erlebnisse nicht erfahren haben. Und den Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben wird gesagt, mit dir stimmt etwas nicht, du reagierst falsch, du fühlst falsch, du bist nicht okay. Und das hört egal wie weit die Forschung kommt einfach nicht auf. Ganz im Gegenteil. Immer wieder sind es gerade auch die Fachleute, die einem das so vorwerfen.

Wenn Ihnen das ein sogenannter Fachmann mit diesen Worten vorwirft, dann gehen Sie woanders hin. Es ist NICHT Ihre Schuld, was Ihnen passiert ist.

Schuld sind Täter. Punkt.

Aber, niemand außer Ihnen kann dafür sorgen, dass es Ihnen gut geht und sie sich wohl fühlen. Das ist sehr wohl Ihre Verantwortung. Das ist die Verantwortung, die für alle Menschen gleich ist, egal, was sie erlebt oder auch nicht erlebt haben. Es ist ungerecht, dass Sie Gewalt erlebt haben. Hat der Staat Sie geschützt? Nein. Er hat versagt. Gibt er Ihnen jetzt die Unterstützung, die Sie bräuchten? Sehr wahrscheinlich nicht. Sind alle Menschen Spinnen? Nein, ganz sicher nicht. Ihre Lebenserfahrungen und die Schlüsse, die sie daraus gezogen haben, kann Ihnen niemand abnehmen. Sie dürfen so leben wie Sie wollen. So wie alle anderen auch. Haben Sie es schwerer als viele anderen? Wahrscheinlich. Können Sie das ändern? Das kann ich natürlich nicht sagen, weil wir uns nicht kennen. Aber als erfahrene Traumatherapeutin habe ich schon viel Wunder gesehen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass Sie gesund werden können. Also alles lernen können, um die überwiegende Zeit zufrieden mit ihrem Leben und frei von Angst zu sein. Ist das leicht? Nein, im Gegenteil.

Aber nur Sie können diesen beschwerlichen Weg gehen.

Suchen Sie sich wohlmeinende Menschen, die mit Ihnen gehen. Davon gibt es mehr als man oft so denkt. Das wünsche ich Ihnen sehr.

Natürlich hoffe ich, dass meine Zeilen auch einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten, dass Sie besser verstehen, was es manchmal so schwer macht. Vieles hat mit Sprache zu tun und mit gegenseitigem Interesse und fehlendem Wissen. Aber Sprache kann man lernen, Wissen auch. Und Interesse kann man dem anderem ja auch als Betroffene entgegenbringen und wer weiß, was dann passiert?

Deswegen wünsche ich Ihnen den übernatürlichen Mut, immer wieder neu Menschen kennenzulernen und die Suche nach geeigneten Weggefährtinnen jeden Tag wieder hoffnungsvoll anzugehen. Dazu übermenschliche Kraft und eine gesunde Portion schwarzen Humor.

Ihre Stefanie Rösch

Trauma-Informations-Zentrum

Leserfrage: PTBS und Partnerschaft? Wie kann das gehen?

10.03.2019 Veröffentlicht von Leserfragen 0 Kommentare

Hallo Frau Rösch,
ich führe seit knapp einem Jahr eine Beziehung mit einem Mann, der an einer PTBS erkrankt ist. Die PTBS hat er bereits seit mehreren Jahren, Ursache war ein Bundeswehr-Einsatz im Ausland. Er hat mir zu Beginn der Beziehung zwar erzählt, dass er eine PTBS hat und wegen dieser auch in Therapie war, allerdings hat er mir wenig über seine „Probleme“ im Alltag erzählt und diese in den ersten Monaten vor mir versucht zu „verstecken“.
Inzwischen weiß ich, dass er innerlich unruhig ist, wenn sein Haushalt nicht nach einem bestimmten System gemacht ist. Er vermeidet öffentliche Plätze, geht nicht ins Kino und Bus- und Bahnfahrten bedeuten für ihn Stress. Er hat sich am Anfang der Beziehung durch all solche Situationen durchgekämpft, ohne dass ich davon wusste.
Nach knapp einem Jahr weiß ich nicht mehr weiter. Er ist seit einiger Zeit wieder in Psychotherapie und hat nun aber auch eingesehen, dass eine weitere Therapie in der Tagesklinik hilfreich sein kann. Unsere Beziehung leidet sehr unter der derzeitigen Situation.
Mein Freund zieht sich oft zurück. Gemeinsame Aktivitäten sind schwer, weil für ihn nahezu alles mit Stress verbunden ist. Ich kann nicht zu Besuch kommen, weil ich aufgrund meines Hundes für mehr Haushalt bei ihm sorge. Er vermeidet es, sich um „Probleme“ zu kümmern, seien es finanzielle oder welche, die in der Beziehung auftauchen. Er versucht ständig es mir recht zu machen ohne auf seine eigenen Bedürfnisse einzugehen.
Ich stoße an meine Grenzen. Ich ärgere mich oft über sein Verhalten. Vor allem, wenn er sich nicht um Dinge kümmert und es mich dann mitbetrifft, z.B. weil wir uns dann nicht sehen können. Wenn er mir dann noch erklärt, dass er aufgrund seiner Krankheit nicht in der Lage ist, sich um diese Sachen zu kümmern, dann fühle ich mich schlecht. Was mir momentan am meisten Sorge bereitet ist, dass er angefangen hat zu trinken, wenn er weiß, dass er in Situationen kommen wird, die er sonst vermeiden würde. Darüber hinaus gibt es in unserer Beziehung keine Nähe mehr. Wenn er mich berührt, fühlt es sich distanziert an. Als ob er mir Nähe schenkt, weil es sich so gehört in einer Beziehung. Er meint, er liebt mich und er möchte die Beziehung mit mir. Aber seine Distanziertheit und diese steifen Annäherungsversuche, wenn er es überhaupt versucht, die tun sehr weh. Wenn ich auf ihn zugehe und ihn umarme, dann kommt nichts zurück. Wenn ich ihn küsse, kommt nichts zurück. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich damit umgehen soll. Er meint, dass er innerlich zu unruhig ist, um sich fallen zu lassen. Vielleicht können Sie mir auch ein paar Ratschläge geben, um die Beziehung aufrecht halten zu können und richtig reagieren zu können … Lieben Gruß Maya

Liebe Maya,

es gibt kein „richtig“. Den Anspruch können wir nicht haben, wenn wir mit traumatisierten Menschen arbeiten. Dass Ihr Freund traumatisiert ist, haben Sie an seinen Beschwerden und Problemen gut beschrieben. Allerdings frage ich mich bei manchen Beschwerden, wie sie mit einem militärischen Einsatz zu erklären sind.

Schwierigkeiten, die ich mir gut in diesem Zusammenhang vorstellen kann, sind Öffentliche Plätze, Bus, Bahn und Kino als Problemsituationen. Grundsätzlich mal Ordnung zu halten, kann der Versuch sein, ein Gefühl von Kontrolle wiederherzustellen. Zwanghaftes Verhalten hat Angst als Ursache. In dem Fall wäre es die Angst vor den Erinnerungen und davor, die Kontrolle zu verlieren. Dass vor allem Männer versuchen, Traumareaktionen mit Alkohol zu bekämpfen ist weithin bekannt. Es liegt nahe Alkohol zu trinken, um entspannt genug zu sein, dass man Situationen bewältigen kann, vor denen man Angst hat.

Allgemein ist Vermeidungsverhalten ein Teil der Posttraumatischen Belastungsstörung, allerdings der Teil, der dazu führt, dass es nicht besser werden kann.

Probleme mit körperlicher Nähe und Sexualität sind für mich auf den ersten Blick nicht mit einem Einsatzgeschehen zu erklären. Auf den zweiten Blick könnten diese Probleme durch die fortgesetzte Stressreaktion entstehen (inneren Unruhe), die sexuelles Verlangen und sexuelle Aktivität unterdrückt. Schließlich geht es in Bedrohungssituationen (Trauma) ums Überleben und nicht um die Fortpflanzung (Stressreaktion).

Finanziellen Probleme wären bei weitem nicht das erste, was mir einfällt, wenn ich an Belastungssituationen in Krisengebieten denke. Das klingt für mich erstmal nach etwas, dass schon länger und in einem anderen Zusammenhang besteht.

Traumareaktionen sind sehr spezifisch. Sie haben in der Regel einen unmittelbar nachvollziehbaren Zusammenhang zur Belastungssituation. Schließlich handelt es sich bei Traumareaktionen um Fehlalarme des Gehirns. Das Hirn will uns warnen. Leider haben sich die Gefahren in der Welt geändert und das Hirn hat das noch nicht verstanden. Also warnt es uns, was wir als einschießende Erinnerungen, Flashbacks oder Erinnerungsattacken bezeichnen. Aber im Grunde ist es nur ein Fehlalarm. Die Traumasituation ist meist sehr einzigartig. Ganz besonders bei Kriegserfahrungen. Wir leben hier in Deutschland nicht im Krieg. Die Gefahren, die wir hier haben, sind andere als in einem Krisengebiet. Das Gehirn kann das erstmal nicht unterscheiden. Aber es kann lernen, ungeeignete Warnreize (Trigger) auszusortieren und dann auch keinen Alarm (Erinnerungsattacke) mehr auszulösen. Dabei hilft eine Traumatherapie.

Insofern bin ich mir jetzt erstmal nicht sicher, ob wirklich alle Reaktionen und Probleme durch den Bundeswehreinsatz erklärt werden können. Zuverlässig einschätzen kann ich es nicht, weil ich zu wenig weiß. Dafür braucht es die angestrebte und hoffentlich begonnene Therapie und Zeit. Es ist gut, dass Ihr Freund Hilfe sucht.

Was diese Situation mit Ihnen macht, kann ich gut nachvollziehen. Menschen, die traumatisiert sind, bringen ihr Umfeld immer wieder in den Zustand der Hilflosigkeit. So hört es sich an, was Sie beschreiben. Sie möchten eine gesunde, gleichberechtigte und führsorgliche Beziehung und das Leben Ihres Freundes wird von Angst bestimmt. Das ist auf Dauer anspruchsvoll.

Leider ist es so, dass außer ihrem Freund, niemand für seinen Heilungsweg verantwortlich ist. Wenn er nicht hart daran arbeitet, gesund zu werden, wird er traumatisiert bleiben. Wenn er in der Angst und damit im Vermeidungsverhalten bleibt, dann kann das Gehirn nicht lernen, dass die Welt weniger gefährlich ist, als das Gehirn denkt. Es kann auch nicht lernen, dass Ihr Freund besser für seine Sicherheit sorgen kann, als sein Gehirn denkt.

Was Sie machen können? Sie können auf sich selbst aufpassen und ihm die Verantwortung für seine Beschwerden lassen. Nur er kann lernen, auf eine gesunde Art damit umzugehen. Sie dürfen die Forderung stellen, dass er sich darum bemüht. Solange er sich bemüht, übt, trainiert und zur Therapie geht, seien Sie geduldig und fragen Sie, wie Sie ihn unterstützen können. Das geht durchaus. Man kann sich langsam an die schöne Seite von körperlicher Nähe herantasten. Das können Sie gemeinsam tun. Sie können ihm auch mit den Erinnerungsattacken helfen.

Aber wenn er für sich entscheidet, in der Angst zu bleiben, dann ist es umso wichtiger, dass Sie gut für sich sorgen, indem Sie klare Grenzen setzen, was Sie mittragen können und was nicht.

„Wenn er mir dann noch erklärt, dass er aufgrund seiner Krankheit nicht in der Lage ist, sich um diese Sachen zu kümmern, dann fühle ich mich schlecht.“

Das hier klingt für mich, als wären sie verärgert darüber, dass er die PTBS als Erklärung/Ausrede für sein Vermeidungsverhalten benutzt. So meine Vermutung. Wenn dem so ist, dann ist es eine sehr gesunde Reaktion, sich schlecht dabei zu fühlen. Es würde bedeuten, dass Sie wissen, dass es sich um eine Ausrede handelt. Gleichzeitig haben Sie Mitgefühl, weil er nichts dafürkann, was er bei diesem Einsatz erlebt hat. Da entsteht Spannung. Ärger auf die Ausrede und Mitgefühl für das Leid.

An der Stelle mache ich Ihnen Mut dazu, diese widerstreitenden Gefühle anzusprechen und zu schauen, wie er darauf reagiert. Kämpft er oder bleibt er in der Angst? Will er den Konflikt lösen? Macht er Sie verantwortlich? Oder appelliert er an ihr Mitgefühl?

Schauen Sie gut nach sich selbst. Welcher Kompromiss ist noch ein Kompromiss und wo wird er zur Selbstaufgabe? Letzteres wird Sie früher oder später krankmachen. Das wäre nicht gut und kann nicht das sein, was Sie wollen. Wenn Sie merken, dass Sie da an eine Grenze kommen, und das haben Sie geschrieben, dann holen Sie sich ebenfalls professionelle Hilfe. Es ist leichter mit einem menschlichen Gegenüber zu schauen, wie Sie gut für sich sorgen können. Dazu möchte ich Sie ermutigen!

Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihren Weg.

Ihre Stefanie Rösch

Was ist ein Flashback?

21.06.2017 Veröffentlicht von Erklärungsmodelle 0 Kommentare

So, da ist er, der Beitrag vom KiTa-Leitungskongress in Düsseldorf (26.4.2017, mit freundlicher Genehmigung des Wolters Kluwer Verlages). Mein erstes Video. Ich hoffe, die Erklärung ist verständlich. Sie basiert auf einem Stressmodell, dass Sie hier weiterlesen können. Den vollständigen Videovortrag können Sie hier erwerben. Es geht um die Unterstützung von traumatisierten Kindern.

Ich habe kurz davor erklärt, wie die Stressreaktion funktioniert und jetzt geht es um die Warnreize. Ein Warnreiz ist ein Reiz, der einem Traumareiz ähnlich ist. Ich steige ein mit dem Beispiel vom Kindergeschrei. Das Geschrei der Kinder beim Spielen ist der Warnreiz, der dem Notgeschrei anderer Menschen auf der Fluch ählich ist. Das ist ein Beispiel für einen Traumareiz. Traumareize ähneln Reizen, die als Warnreize (Trigger) funktionieren …..

Eine ausführliche Anleitung: Die Hier-und-Jetzt-Übung

27.01.2017 Veröffentlicht von Strategien 6 Kommentare

Ich glaube, ich habe die Hier-und-Jetzt-Übung in diesem Blog noch nie ausführlich beschrieben, obwohl ich sie immer wieder erwähnt habe. Das soll sich heute ändern.

Wenn man mit belastenden Erinnerungen kämpft, Erinnerungen, die sich immer wieder wie von selbst aufdrängen, nicht enden wollen und Ihnen als grausame Erinnerungsattacken das Leben schwermachen, dann ist es aus meiner Erfahrung besonders wichtig, dass Sie erleben, dass SIE entscheiden, womit Sie sich bewusst beschäftigen wollen. Das erreichen Sie am schnellsten, wenn Sie Ihr Bewusstsein mit der Gegenwart füllen, also mit dem, was Ihre Sinnesorgane jetzt gerade wahrnehmen. Das funktioniert folgendermaßen. Beantworten Sie die folgenden Fragen, während Sie sie lesen:

Was sehen Sie jetzt gerade? Was hören Sie jetzt – im Raum oder weiter weg? Können Sie Ihre Füße auf dem Boden spüren? Was machen Ihre Hände gerade? Können Sie den Stuhl spüren, auf dem Sie gerade sitzen? Haben Sie ein Getränk in der Nähe und können einen Schluck nehmen und schmecken, welche Aromen Sie wahrnehmen? Oder haben Sie ein Parfum oder einen anderen riechenden Gegenstand, den Sie bewusst wahrnehmen können? Wonach duftet er?

Wenn Sie anfangen, sich darauf zu konzentrieren, was Sie gerade sehen, hören, schmecken, riechen und spüren, kann es hilfreich sein, das laut vor sich her zu sagen. Oder Sie können jemanden bitten, Ihnen aus der Erinnerungsattacke herauszuhelfen, indem er Sie danach fragt, was Sie gerade wahrnehmen. Diese Person kann genau nachfragen, was Sie wahrnehmen, also zum Beispiel, welche Formen, Farben, Oberflächen, Materialien. Ein Wollpulli hat eine andere Oberfläche als ein Baumwollhandtuch oder ein Holztisch oder ein Metalllöffel.

Wenn ich, Stefanie Rösch, in diesem Augenblick mein Bewusstsein mit Gegenwart füllen möchte, dann würde sich das folgendermaßen anhören: Ich sehe vor mir den Bildschirm meines Computers. Ich höre Filmmusik dazu, eine Geige im Moment mit einem leicht melancholischen Thema. Ich rieche den Duft von Beeren von meiner Kerze und mein Tee schmeckt nach Ingwer, ein bisschen zitronig und leicht scharf. Der Tee ist nur noch lauwarm, und jetzt sind viele Geigen zu hören und irgendwelche Bläser und das Klackern der Tastatur. Die Buchstaben werden rot unterstrichen, wenn ich einen Schreibfehler mache oder das Programm ein Wort wie zitronig nicht kennt und so weiter.

Machen Sie die Hier-und-Jetzt-Übung immer wieder und wieder. Sie hilft Ihnen zu spüren, dass SIE entscheiden, worüber Sie nachdenken, selbst wenn etwas sehr Belastendes passiert ist.

Es mag sein, dass es Ihnen am Anfang sehr schwer fällt, diesen Text am Stück zu lesen und zu verstehen, aber geben Sie nicht auf! Lesen Sie die Zeilen wieder und wieder bis Sie sie verstehen. Auch wenn es einmal 10 Minuten oder länger dauert. Das kann durchaus sein, wenn Sie etwas sehr Belastendes erlebt haben.

Kommen Sie immer wieder zurück in die Gegenwart! Zurück in den Augenblick, in dem nichts mehr passiert und in dem Sie sicher sind.

Nur Mut!

Leserfrage: Spielsucht durch traumatische Erfahrungen?

01.11.2016 Veröffentlicht von Leserfragen, Strategien 0 Kommentare

Ist es normal durch traumatische Erfahrungen extremes Suchtverhalten (Casino, Computer) zu entwickeln? Als ich überlegte, warum ich das mache, fand ich die Antwort, dass ich dadurch die unzähligen Gedanken und Erinnerungen für einen Moment ausschalte und mich im Hier und Jetzt befinde ohne denken zu müssen.

Ist es möglich, meinen Kopf auszuschalten ohne zu spielen, dass die Gedanken und Erinnerungen aufhören. Ich habe das Gefühl, dass ich 24/7 nur am Denken bin. Bin teilweise richtig abwesend und höre den Menschen um mich rum nur teilweise oder gar nicht zu bzw. vergesse Gesagtes manchmal recht schnell, da ich so in Gedanken versunken bin.

Lieber Leser,

danke für die positive Rückmeldung. Meine Gedanken und Ideen zu Ihrer Frage?

Ich finde, Sie haben das gut erkannt. Ich glaube nicht, dass es normal im Sinne von verbreitet oder häufig ist, aufgrund oder nach einer oder mehrerer traumatischen Erfahrungen eine Spielsucht zu entwickeln. Aber ich halte es für möglich und vor allem erklärbar. Sie haben die Erklärung bereits selbst beschrieben. Es ist ein Versuch, um mit den negativen Erinnerungen umzugehen, die wiederum ganz typisch sind als Folge von belastenden Lebenserfahrungen.

Hier eine grundsätzliche Erklärung

Bei Traumafolgestörungen dreht sich alles um die Fehlalarme des Hirns, die sich in Erinnerungsattacken wiederspiegeln. Wenn Sie Gefahr erlebt haben und das vielleicht nicht nur einmal, dann wird Ihr Hirn Sie immer dann warnen, wenn es einen Reiz gibt (Bild, Farbe, Geruch, Geräusch, Geschmack, Körperwahrnehmung), der an die erlebte/überlebte Gefahr erinnert. In dem Moment versucht Ihr Hirn, Sie zu warnen, indem es die Erinnerung „schickt“. Ihr Hirn kann ja nicht sagen: „Du, Achtung, hier könnte irgendwo ein Säbelzahntiger sein und die sind gefährlich, also sei vorsichtig.“ Um diese Warnung zu schicken, sehen Sie die Bilder aus der Erinnerung, spüren Sie im Körper. So wie Sie es damals gespürt haben, hören Sie vielleicht die Geräusche im Ohr und so wissen Sie: Achtung, Gefahr!

Wir haben leider verlernt, diese Erinnerungsattacken als Warnung unseres Hirns zu sehen, zumal es meistens ein Fehlalarm ist. Es also keine echte, reale Gefahr mehr gibt.

Wenn Sie diesen Zusammenhang aber nicht kennen, dann werden Sie sich Ihren Erinnerungsattacken hilflos ausgeliefert fühlen, genauso wie der ursprünglichen Gefahr. Natürlich geht mit diesen Fehlalarmen einher, dass man sich schlecht fühlt und natürlich auch, dass man darüber nachdenkt. Leider denkt man nicht immer, wie man eine zukünftige Gefahr bewältigen kann, sondern viele Menschen bleiben im Kopf, im Moment der größten Gefahr, „stecken“. Das nennt man katastrophisierendes Denken. Wenn Sie aber in Gedanken im Zustand der Gefahr bleiben, dann macht ihr Körper auch die entsprechende Alarmreaktion dazu, sprich Stress, sprich Unruhe und ein unangenehmes Gefühl.

Um das „wegzumachen“ lenken sich viele Menschen ab, zum Beispiel mit einem Suchtverhalten. Insofern haben Sie das gut erkannt!

Der nächste Schritt ist zu lernen, was man gegen diese Erinnerungsattacken und die damit verbundene Stressreaktion tun kann, ANSTATT zu spielen.

Der Trick ist, die Aufmerksamkeitsspanne, also das, was wir (halbwegs) bewusst denken, mit Gegenwart zu füllen. Das Spielen ist eine Möglichkeit, die jedoch den Nachteil hat, dass Sie den Fehlalarm damit nicht dauerhaft abbrechen können.

Im Grunde braucht das Hirn Ihre Unterstützung dabei zu lernen, dass es gute Warnreize gibt und ungeeignete Warnreize. Das heißt, Sie wollen Ihr Alarmsystem „besser einstellen“, damit es weniger Fehlalarme macht. Wenn man es auf das Beispiel von einem Rauchmelder anwendet, dann wollen Sie ihrem Rauchmelder (Gefahrenmelder/Limbisches System) im Hirn beibringen, nur auf einen echten Brand zu reagieren und nicht auf jede Kerze, die brennt, oder jedes Schnitzel, das Sie braten, oder jede Zigarette, die geraucht wird. Das heißt, beim nächsten Fehlalarm, schauen Sie sich um und sagen Sie sich, dass Sie jetzt sicher sind.

Es kann sein, dass das nur in kleinen Schritten geht. Aber es geht. Ich erlebe es täglich in meiner Arbeit.

Den ersten Schritt haben Sie schon bewältigt, weil Sie erkannt haben, dass Gedanken die Unruhe verursachen, die so unangenehm ist, dass Sie sie wegmachen wollen. Sie haben den wichtigsten Schritt schon getan: Sie wissen wie eine Erinnerungsattacke bei Ihnen beginnt.

Jetzt heißt es, den Feuermelder im Hirn neu einstellen, indem Sie ANSTATT zu spielen, die Hier-und-Jetzt-Übung machen und sich immer wieder mit eigenen Augen versichern, dass Hier und Jetzt keine Gefahr ist und Sie sicher sind. Es ist wichtig, sich das selbst zu sagen: Ich bin jetzt sicher, das ist nur ein Fehlalarm. Ich bin jetzt sicher.

Es braucht Übung. Wenn die Erinnerungsattacke zu schlimm ist, können Sie auch versuchen, das Spielen mit einem Wecker zeitlich zu begrenzen. Spielen Sie eine halbe Stunde und dann machen Sie wieder etwas anderes. Einer meiner Klienten kam gut damit klar, bei einer Erinnerungsattacke etwa 2 Minuten lang ein Handyspiel zu spielen. Dann hatte er sich wieder in die Gegenwart gebracht und konnte seinem Alltag weiter nachgehen. Spiele, die sich dazu besonders eigenen, sind Spiele, bei denen das Spiel selbst das Tempo vorgibt, Jump & Run-Spiele oder Spiele, die eine hohe Konzentration erfordern, z.B. Logikspiele und Puzzlespiele. Jump& Run funktioniert besser, weil es Konzentration einfordert. Es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen dazu, dass Tetris-spielen helfen kann.

Weitere Möglichkeiten, Erinnerungen und die dazugehörigen unangenehmen Gedanken zu unterbrechen finden Sie hier: Sicherer Ort, weitere Stabilisierungetechniken bei PTBS.

Spielen hilft in Ihrem Fall nur kurzfristig, um die Erinnerungsattacke / Fehlalarm schnell wieder abzubrechen. Das eigentliche „Neu-Einstellen“ Ihres Feuermelders im Hirn wird stattfinden, wenn Sie sich beibringen, dass es sich bei der Erinnerungsattacke „nur“ um einen Fehlalarm handelt. So kann da Hirn die abgespeicherten Erinnerungs-Warnreize aussortieren.

Viel Erfolg und Durchhaltevermögen beim Training!

________________
Emily A. Holmes, Ella L. James, Thomas Coode-Bate, Catherine Deeprose (2009). Can Playing the Computer Game “Tetris” Reduce the Build-Up of Flashbacks for Trauma? A Proposal from Cognitive Science. PLOS, Published: January 7, 2009, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0004153

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