„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

Posts zum Tag "Trauma"

Eine ausführliche Anleitung: Die Hier-und-Jetzt-Übung

27.01.2017 Veröffentlicht von Strategien 6 Kommentare

Ich glaube, ich habe die Hier-und-Jetzt-Übung in diesem Blog noch nie ausführlich beschrieben, obwohl ich sie immer wieder erwähnt habe. Das soll sich heute ändern.

Wenn man mit belastenden Erinnerungen kämpft, Erinnerungen, die sich immer wieder wie von selbst aufdrängen, nicht enden wollen und Ihnen als grausame Erinnerungsattacken das Leben schwermachen, dann ist es aus meiner Erfahrung besonders wichtig, dass Sie erleben, dass SIE entscheiden, womit Sie sich bewusst beschäftigen wollen. Das erreichen Sie am schnellsten, wenn Sie Ihr Bewusstsein mit der Gegenwart füllen, also mit dem, was Ihre Sinnesorgane jetzt gerade wahrnehmen. Das funktioniert folgendermaßen. Beantworten Sie die folgenden Fragen, während Sie sie lesen:

Was sehen Sie jetzt gerade? Was hören Sie jetzt – im Raum oder weiter weg? Können Sie Ihre Füße auf dem Boden spüren? Was machen Ihre Hände gerade? Können Sie den Stuhl spüren, auf dem Sie gerade sitzen? Haben Sie ein Getränk in der Nähe und können einen Schluck nehmen und schmecken, welche Aromen Sie wahrnehmen? Oder haben Sie ein Parfum oder einen anderen riechenden Gegenstand, den Sie bewusst wahrnehmen können? Wonach duftet er?

Wenn Sie anfangen, sich darauf zu konzentrieren, was Sie gerade sehen, hören, schmecken, riechen und spüren, kann es hilfreich sein, das laut vor sich her zu sagen. Oder Sie können jemanden bitten, Ihnen aus der Erinnerungsattacke herauszuhelfen, indem er Sie danach fragt, was Sie gerade wahrnehmen. Diese Person kann genau nachfragen, was Sie wahrnehmen, also zum Beispiel, welche Formen, Farben, Oberflächen, Materialien. Ein Wollpulli hat eine andere Oberfläche als ein Baumwollhandtuch oder ein Holztisch oder ein Metalllöffel.

Wenn ich, Stefanie Rösch, in diesem Augenblick mein Bewusstsein mit Gegenwart füllen möchte, dann würde sich das folgendermaßen anhören: Ich sehe vor mir den Bildschirm meines Computers. Ich höre Filmmusik dazu, eine Geige im Moment mit einem leicht melancholischen Thema. Ich rieche den Duft von Beeren von meiner Kerze und mein Tee schmeckt nach Ingwer, ein bisschen zitronig und leicht scharf. Der Tee ist nur noch lauwarm, und jetzt sind viele Geigen zu hören und irgendwelche Bläser und das Klackern der Tastatur. Die Buchstaben werden rot unterstrichen, wenn ich einen Schreibfehler mache oder das Programm ein Wort wie zitronig nicht kennt und so weiter.

Machen Sie die Hier-und-Jetzt-Übung immer wieder und wieder. Sie hilft Ihnen zu spüren, dass SIE entscheiden, worüber Sie nachdenken, selbst wenn etwas sehr Belastendes passiert ist.

Es mag sein, dass es Ihnen am Anfang sehr schwer fällt, diesen Text am Stück zu lesen und zu verstehen, aber geben Sie nicht auf! Lesen Sie die Zeilen wieder und wieder bis Sie sie verstehen. Auch wenn es einmal 10 Minuten oder länger dauert. Das kann durchaus sein, wenn Sie etwas sehr Belastendes erlebt haben.

Kommen Sie immer wieder zurück in die Gegenwart! Zurück in den Augenblick, in dem nichts mehr passiert und in dem Sie sicher sind.

Nur Mut!

Leserfrage: Kann es sein, dass ich Personen erfunden habe?

08.11.2016 Veröffentlicht von Leserfragen 1 Kommentare

Kann es sein, dass ich Personen erfunden habe, die so real sind, dass ich selbst nicht weiß, ob diese wirklich existierten oder ob das nur eine aus dem Kopf entsprungene Illusion war, die ich mir solange einredete bis ich nicht mehr wusste, was jetzt wahr ist?

Lieber Leser,

Erst gestern habe ich wieder eine Vorschau für einen Film gesehen, in dem ein Junge es wirklich schwer hat: er wird gemobbt, seine Mutter liegt im Sterben und seine Tante ist nicht wirklich einfühlsam. Er wünscht sich ein Baum-Monster, das dann tatsächlich erscheint und ihm Mut macht, sich zu wehren und Hilfe zu suchen. Den Trailer dazu unten.

Wenn wir über längere Zeit in ausweglosen und bedrohlichen Situationen überleben müssen, dann unternehmen unser Hirn und unsere Seele vielfältige Versuche, diese Lebensumstände erträglicher und vorhersehbarer zu machen.

Ein erfolgreicher Versuch kann sein, andere Personen zu „erfinden“, damit man sich in der Situation nicht so allein fühlt und jemanden hat, der einem Mut macht und beisteht, wenn es im wirklichen Leben niemand tut.

Grundsätzlich lässt sich in den meisten Fällen prüfen, ob eine Person real ist/war oder ausgedacht. Die Frage bleibt, ob es wichtig ist, diesen Unterschied heute noch festzustellen, wenn die Person damals real oder als Phantasie hilfreich war? Bei der realen Person könnte man sich bedanken und möglicherweise hätte man auch heute noch einen hilfreichen Menschen in seinem Leben. War sie eine Phantasie, dann kann man sich innerlich bei ihr bedanken.

Die dritte Möglichkeit wäre, dass es eine Person war, die einmal existiert hat, aber trotzdem nicht von anderen wahrgenommen werden kann, weil sie verstorben ist. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass gerade Kinder vor kurzem verstorbene wichtige Personen noch wahrnehmen und das als tröstlich empfinden. Wer kann behaupten er wisse mit Sicherheit, dass das nicht sein kann? Es gibt so viele Dinge zwischen Himmel und Erde, warum sollten nicht verstorbene Großeltern oder Eltern oder andere geliebte Personen weiter Anteil am Leben eines zurückgelassenen Kindes nehmen?

Die vierte Möglichkeit wäre die Entstehung von inneren Personen, die helfen, Lebensumstände zu ertragen, die ein einzelner Mensch nicht ertragen kann. So ein inneres Team kann eine große Entlastung sein, aber da es oft auch innere Täter enthält, lebt es sich damit als Erwachsener nicht immer so gut und bedarf dann therapeutischer Begleitung, um zu lernen, auf eine gesunde Weise damit umzugehen.

Insofern kann man die Frage mit JA beantworten. Es ist möglich.

Eine Frage bleibt: Warum ist es wichtig, zu wissen, was in der Vergangenheit liegt und vorbei ist?

Und hier noch die beiden Filmankündigungen: A monster calls – leider auf Englisch, aber ich kann mir vorstellen, dass die Bilder für sich sprechen.

Deutsche Version: Aber nur halb so gut.

Leserfrage: Spielsucht durch traumatische Erfahrungen?

01.11.2016 Veröffentlicht von Leserfragen, Strategien 0 Kommentare

Ist es normal durch traumatische Erfahrungen extremes Suchtverhalten (Casino, Computer) zu entwickeln? Als ich überlegte, warum ich das mache, fand ich die Antwort, dass ich dadurch die unzähligen Gedanken und Erinnerungen für einen Moment ausschalte und mich im Hier und Jetzt befinde ohne denken zu müssen.

Ist es möglich, meinen Kopf auszuschalten ohne zu spielen, dass die Gedanken und Erinnerungen aufhören. Ich habe das Gefühl, dass ich 24/7 nur am Denken bin. Bin teilweise richtig abwesend und höre den Menschen um mich rum nur teilweise oder gar nicht zu bzw. vergesse Gesagtes manchmal recht schnell, da ich so in Gedanken versunken bin.

Lieber Leser,

danke für die positive Rückmeldung. Meine Gedanken und Ideen zu Ihrer Frage?

Ich finde, Sie haben das gut erkannt. Ich glaube nicht, dass es normal im Sinne von verbreitet oder häufig ist, aufgrund oder nach einer oder mehrerer traumatischen Erfahrungen eine Spielsucht zu entwickeln. Aber ich halte es für möglich und vor allem erklärbar. Sie haben die Erklärung bereits selbst beschrieben. Es ist ein Versuch, um mit den negativen Erinnerungen umzugehen, die wiederum ganz typisch sind als Folge von belastenden Lebenserfahrungen.

Hier eine grundsätzliche Erklärung

Bei Traumafolgestörungen dreht sich alles um die Fehlalarme des Hirns, die sich in Erinnerungsattacken wiederspiegeln. Wenn Sie Gefahr erlebt haben und das vielleicht nicht nur einmal, dann wird Ihr Hirn Sie immer dann warnen, wenn es einen Reiz gibt (Bild, Farbe, Geruch, Geräusch, Geschmack, Körperwahrnehmung), der an die erlebte/überlebte Gefahr erinnert. In dem Moment versucht Ihr Hirn, Sie zu warnen, indem es die Erinnerung „schickt“. Ihr Hirn kann ja nicht sagen: „Du, Achtung, hier könnte irgendwo ein Säbelzahntiger sein und die sind gefährlich, also sei vorsichtig.“ Um diese Warnung zu schicken, sehen Sie die Bilder aus der Erinnerung, spüren Sie im Körper. So wie Sie es damals gespürt haben, hören Sie vielleicht die Geräusche im Ohr und so wissen Sie: Achtung, Gefahr!

Wir haben leider verlernt, diese Erinnerungsattacken als Warnung unseres Hirns zu sehen, zumal es meistens ein Fehlalarm ist. Es also keine echte, reale Gefahr mehr gibt.

Wenn Sie diesen Zusammenhang aber nicht kennen, dann werden Sie sich Ihren Erinnerungsattacken hilflos ausgeliefert fühlen, genauso wie der ursprünglichen Gefahr. Natürlich geht mit diesen Fehlalarmen einher, dass man sich schlecht fühlt und natürlich auch, dass man darüber nachdenkt. Leider denkt man nicht immer, wie man eine zukünftige Gefahr bewältigen kann, sondern viele Menschen bleiben im Kopf, im Moment der größten Gefahr, „stecken“. Das nennt man katastrophisierendes Denken. Wenn Sie aber in Gedanken im Zustand der Gefahr bleiben, dann macht ihr Körper auch die entsprechende Alarmreaktion dazu, sprich Stress, sprich Unruhe und ein unangenehmes Gefühl.

Um das „wegzumachen“ lenken sich viele Menschen ab, zum Beispiel mit einem Suchtverhalten. Insofern haben Sie das gut erkannt!

Der nächste Schritt ist zu lernen, was man gegen diese Erinnerungsattacken und die damit verbundene Stressreaktion tun kann, ANSTATT zu spielen.

Der Trick ist, die Aufmerksamkeitsspanne, also das, was wir (halbwegs) bewusst denken, mit Gegenwart zu füllen. Das Spielen ist eine Möglichkeit, die jedoch den Nachteil hat, dass Sie den Fehlalarm damit nicht dauerhaft abbrechen können.

Im Grunde braucht das Hirn Ihre Unterstützung dabei zu lernen, dass es gute Warnreize gibt und ungeeignete Warnreize. Das heißt, Sie wollen Ihr Alarmsystem „besser einstellen“, damit es weniger Fehlalarme macht. Wenn man es auf das Beispiel von einem Rauchmelder anwendet, dann wollen Sie ihrem Rauchmelder (Gefahrenmelder/Limbisches System) im Hirn beibringen, nur auf einen echten Brand zu reagieren und nicht auf jede Kerze, die brennt, oder jedes Schnitzel, das Sie braten, oder jede Zigarette, die geraucht wird. Das heißt, beim nächsten Fehlalarm, schauen Sie sich um und sagen Sie sich, dass Sie jetzt sicher sind.

Es kann sein, dass das nur in kleinen Schritten geht. Aber es geht. Ich erlebe es täglich in meiner Arbeit.

Den ersten Schritt haben Sie schon bewältigt, weil Sie erkannt haben, dass Gedanken die Unruhe verursachen, die so unangenehm ist, dass Sie sie wegmachen wollen. Sie haben den wichtigsten Schritt schon getan: Sie wissen wie eine Erinnerungsattacke bei Ihnen beginnt.

Jetzt heißt es, den Feuermelder im Hirn neu einstellen, indem Sie ANSTATT zu spielen, die Hier-und-Jetzt-Übung machen und sich immer wieder mit eigenen Augen versichern, dass Hier und Jetzt keine Gefahr ist und Sie sicher sind. Es ist wichtig, sich das selbst zu sagen: Ich bin jetzt sicher, das ist nur ein Fehlalarm. Ich bin jetzt sicher.

Es braucht Übung. Wenn die Erinnerungsattacke zu schlimm ist, können Sie auch versuchen, das Spielen mit einem Wecker zeitlich zu begrenzen. Spielen Sie eine halbe Stunde und dann machen Sie wieder etwas anderes. Einer meiner Klienten kam gut damit klar, bei einer Erinnerungsattacke etwa 2 Minuten lang ein Handyspiel zu spielen. Dann hatte er sich wieder in die Gegenwart gebracht und konnte seinem Alltag weiter nachgehen. Spiele, die sich dazu besonders eigenen, sind Spiele, bei denen das Spiel selbst das Tempo vorgibt, Jump & Run-Spiele oder Spiele, die eine hohe Konzentration erfordern, z.B. Logikspiele und Puzzlespiele. Jump& Run funktioniert besser, weil es Konzentration einfordert. Es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen dazu, dass Tetris-spielen helfen kann.

Weitere Möglichkeiten, Erinnerungen und die dazugehörigen unangenehmen Gedanken zu unterbrechen finden Sie hier: Sicherer Ort, weitere Stabilisierungetechniken bei PTBS.

Spielen hilft in Ihrem Fall nur kurzfristig, um die Erinnerungsattacke / Fehlalarm schnell wieder abzubrechen. Das eigentliche „Neu-Einstellen“ Ihres Feuermelders im Hirn wird stattfinden, wenn Sie sich beibringen, dass es sich bei der Erinnerungsattacke „nur“ um einen Fehlalarm handelt. So kann da Hirn die abgespeicherten Erinnerungs-Warnreize aussortieren.

Viel Erfolg und Durchhaltevermögen beim Training!

________________
Emily A. Holmes, Ella L. James, Thomas Coode-Bate, Catherine Deeprose (2009). Can Playing the Computer Game “Tetris” Reduce the Build-Up of Flashbacks for Trauma? A Proposal from Cognitive Science. PLOS, Published: January 7, 2009, http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0004153

Erinnerungsattacken abbrechen: weitere Möglichkeiten

17.09.2016 Veröffentlicht von Strategien 2 Kommentare

Mich erreichte diese Tage eine eMail mit zwei weiteren Strategien wie man Flashbacks unterbrechen kann.
Zum einen hat frischen Ingwer kauen geholfen, zum anderen kleine Perlen in die Schuhe zu legen. Die Perlen sollen aber keine Schmerzen verursachen, sondern nur spürbar sein und die Durchblutung anregen. Vielleicht könnten auch entsprechende Massage-Schuheinlagen mit Noppen hilfreich sein.

Danke für die Tipps!

Weitere Strategien, um mit Erinnerungsattacken umzugehen, finden Sie auch hier.

Und wer neu hier ist, möchte sich vielleicht erstmal in das Thema einlesen: Alle Artikel dazu finden sich hier.

Bilderbuch für Flüchtlingskinder, ihre Eltern und Helfer

01.02.2016 Veröffentlicht von Lesestoff 2 Kommentare

Susanne Stein, eine engagierte Kollegin aus Hamburg, hat aus ihrer Arbeit mit Flüchtlingen kommend ein Kinderbuch entwickelt, das sie als kostenlosen Download auf ihrer Homepage zur Verfügung stellt.

Ich kann mir vorstellen, dass man mit diesem Buch vielen geflohenen Kindern und ihren Eltern helfen kann. Schauen Sie es sich an. Der große Vorteil ist, dass es auch in Englisch, Farsi und Arabisch zur Verfügung steht. Das hat mir gut gefallen.

Ich wünsche Frau Stein weiterhin viel Erfolg mit ihrer Arbeit. Genauso wie allen da draußen, die sich in diesen Zeiten für Menschen in Not einsetzen. Viel Kraft für dieses Jahr.

Ihre Stefanie Rösch

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