„Überwundene Angst bringt Freiheit und Verantwortung“ – Stefanie Rösch, 2013

Leserfrage: Was ist der Unterschied zwischen giftigen Gedanken und Täterintrojekten?

24.06.2017 Veröffentlicht von Leserfragen, Strategien 4 Kommentare

Liebe Frau Rösch, ich habe viele Ihrer Artikel in diesem Blog gelesen, vor allem das Thema giftige Gedanken berührt mich sehr. Ich habe eine Frage und hoffe, dass Sie vielleicht weiterhelfen können. Ich habe eine Traumkonfrontationstherapie gemacht, jedoch nicht erfolgreich. Die Therapeutin sagte, ein zu starkes Täterintrojekt würde die Zusammenarbeit unmöglich machen. Jetzt bin ich etwas ratlos, wie wird das behandelt? Ich weiß, dass diese giftigen Gedanken sehr stark sind und kämpfe dagegen an wo ich kann. Gibt es dabei eine Möglichkeit zur Unterstützung für mich? Seit dem Abbruch der Therapie habe ich fast jeden Tag Panikattacken und weiß nicht mehr weiter.

Liebe Leserin,

könnte es sein, dass Ihre „Panikattacken“ im Grunde Flashbacks sind (–> Erinnerungsattacken/Fehlalarme des Hirns)? Dann könnte alles helfen, was bei Flashbacks hilft (–> Was hilft gegen Flasbacks, weitere Möglichkeiten).

Dringender scheint mir jedoch die Frage nach den giftigen Gedanken und dem Täterintrojekt zu sein. Dazu möchte ich zuerst versuchen zwischen giftigen Gedanken und einem Täterintrojekt zu unterscheiden.

Giftige Gedanken, sind negative Gedanken, die im Autopiloten (–> Was ist der Autopilot?) in unserem Hirn unterwegs sind und uns meist, indem sie Angst auslösen, daran hindern frei zu sein. Aber es sind nur Gedanken. Wenn man sie entdeckt hat, dann reicht als Gegenmaßnahme, den Autopiloten „neu zu programmieren“, was aus meiner Erfahrung in erster Linie durch blanke Wiederholung erreicht werden kann (–> Giftige Gedanken). Hilfreich ist es, wenn man noch subjektive Beweise für den neuen, gesunden, positiven Gedanken finden kann.

Ein Beispiel: Wenn ich denke „Ich bin wertlos“, dann ist das ein giftiger Gedanke, der mich daran hindert frei zu sein. Bei allem, was ich tue, flüstert dieser Gedanke im Hintergrund, dass ich es nicht schaffe, weil ich wertlos bin. Wenn ich diesen Gedanken entlarvt habe (1), dann entscheide ich zuerst, dass ich in Zukunft „Ich bin wertvoll“ über mich selbst denken will (2), oder vielleicht auch „Ich liebe und akzeptiere mich so wie ich gerade bin“ (2). Dann wiederhole ich den Satz, täglich über mindestens 3 Wochen (3). Aus der Sportpsychologie weiß man, dass es ein paar Tausend Wiederholungen braucht, um einen Bewegungsablauf automatisch abrufen zu können. Für giftige Gedanken kann man sich das einfach genauso vorstellen. Wenn man jetzt noch dazu aufschreibt, was dafürspricht, dass man wertvoll ist (4), z.B., weil es Freundin A und B gibt, oder mein Hund sich freut, mich zu sehen, oder die Verkäuferin freundlich gelächelt hat, dann kann man den neuen Gedanken in den Autopilotenzustand (unbewusst/automatisiert) bringen.

Ein Täterintrojekt, wie ich es verstehe und meine, wenn ich in meinem Blog darüber schreibe, ist ein Bündel von Gedanken, das ein intensives Eigenleben führt. Im Grunde wie eine eigene Person (auch Ich-Zustand genannt). Meist sind diese inneren Anteile in ihrer Zeit (Zeitpunkt einer traumatischen Erfahrung) eingefroren. Sie können auf unterschiedliche Weise in Erscheinung treten. Bis dahin, dass sie das Handeln der Person übernehmen wie bei der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS –> Definition und Beschreibung).

Täterintrojekt werden diese Erinnerungs- /Ich-Zustände genannt, weil sie Verhalten und Forderungen eines Täters in unseren Köpfen weiterleben lassen (Introjekt = im Inneren abgebildet = wie eine Kopie des Täters in unserem Kopf). Man kann mit ihnen sprechen. Mit einem giftigen Gedanken kann man nicht sprechen, es ist nur ein einzelner Gedanke. Wie eine Haltung oder eine Erwartung. Ein Täterintrojekt ist komplexer. Mehrere Gedanken, Erwartungen und Haltungen, die täterfreundlich sind oder sich verhalten, um einem Täter zu gefallen, weil das mit weniger Gewalt oder Geschenken oder sonst wie belohnt wird. Sie beschützen die Täter durch ihr Verhalten.

Täterintrojekte behandle ich wie eigenständige Menschen, wie eine Person im Kopf meiner Klienten. Ich rede mit ihnen und versuche herauszufinden, was sie wollen. Manchmal verraten sie es und manchmal zicken sie rum. Wenn Sie rumzicken oder schaden wollen, zum Beispiel durch selbstverletzendes Verhalten, dann ermutige ich die Klientin, sich im Kopf zu wehren. (–>Täterintrojekte, das Recht auf Notwehr)

Damit das klappt, so meine Erfahrung, braucht es äußere Sicherheit. Also Sicherheit für den eigenen Körper. Es braucht eine stabile Beziehung (die Therapeutin), die zur inneren Notwehr ermutigt und Ideen liefert, wie das gehen kann. Die Therapeutin hilft zu erkennen, dass nichts passieren kann, wenn man sich gegen die Stimmen im eigenen Kopf wehrt. Täterintrojekte versuchen, Ihnen Angst zu machen. Lassen Sie das nicht zu! Was auch immer es ist, zum Zeitpunkt der Therapiesitzung ist es vorbei und Sie sind sicher. Davon gehe ich jedenfalls aus, denn sonst wäre die Therapeutin/der Therapeut Täter.

Alles, was in Ihrem Kopf stattfindet, können Sie lernen zu beherrschen. Machen Sie sich bewusst, wer da unterwegs ist und was derjenige von Ihnen will. Bisher habe ich den Eindruck, dass das nur mit einem furchtlosen Gegenüber (Therapeutin) geht, das Sie unterstützt und manchmal vorlebt, wie man sich wehrt.

Das kann ein sehr langer Prozess sein, aber man kann sich auch von hartnäckigen Täterintrojekten befreien. Bisher konnten meine Klienten und ich in meinen Therapien noch jedes Täterintrojekt in die Knie zwingen und rauswerfen.

Auch wenn es ein ziemlicher Kampf sein kann. Ja, ein Kampf. Immer ein innerer und manchmal auch äußerer Kampf, wenn zum Beispiel das Täterintrojekt meint, es muss den Therapieraum verlassen, um die Therapie abzubrechen. Für diese Fälle habe ich mit der Klientin dann VORHER abgesprochen, dass ich es daran hindere, seinen Plan auszuführen, indem ich mich zwischen Tür und Täterintrojekt im Körper der Klientin stelle und so verhindere, dass das Täterintrojekt gehen kann. Gleichzeitig spreche ich wie vereinbart mit der Klientin und sage ihr, dass sie jeder Zeit gehen kann, wenn sie will, aber sie muss es mir selbst sagen. Von Täterintrojekten lasse ich mir nichts sagen 🙂

Wenn die Introjekte durch rituelle Gewalt entstanden sind, dann mögen sie es gar nicht, wenn man laut ein Gebet spricht oder ein Lobpreislied singt und sie dann wegschickt. Aber auch Lieder wie „Die Gedanken sind frei“ haben sich schon als hilfreich herausgestellt. Manchmal passiert dann so etwas wie im Filmausschnitt am Ende bildlich dargestellt: Die Böse Hexe des Westens (unser Täter) schmilzt (verschwindet aus dem Kopf) nachdem Dorothy versehentlich einen Eimer Wasser über sie kippt (sich gewehrt hat/Notwehr) als Sie ihren Freund Vogelscheuche retten will, den die Hexe in Brand gesteckt hat (Letztendlich retten Sie sich selbst).

Ich hoffe, Sie finden jemanden, der diesen Kampf gegen das Täterintrojekt wieder mit Ihnen aufnimmt und an Ihrer Seite kämpft und Ihnen Mut macht, sich zu wehren. Ich weiß, dass Sie die Macht haben, das Täterintrojekt zu besiegen. Sie können es rauszuwerfen oder innerlich töten, wenn es sein muss. Auch wenn Sie das noch nicht glauben können. Ich bin mir sicher, dass Sie die Kraft dafür haben werden.

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4 Kommentare

  1. Manuela Höde sagt:

    Also dieses Thema ist gar nicht so einfach zu verstehen. Ich möchte gerne an meinem Beispiel wissen, wie das mit der Täterintrojektion aussieht.

    Ich wurde als Kind von meiner Mutter körperlich und was noch viel schlimmer War emotional misshandelt. Selbst wenn ich es jetzt schreibe fühlt es sich fremd für mich an. Nur die dazugehörigen Bilder und Gefühle trage ich mit mir herum.
    Der Kontakt Abbruch und die Trauma Therapie haben mir geholfen.
    Seit dem EMDR bin ich in bezug auf meine Mutter völlig ruhig.
    Ich weiß jedoch das es nur geht, wenn der Abstand eingehalten wird.
    Vater das ist so ein sehr schwieriges Thema.
    Mein Verhältnis zu ihm hat zwei Seiten.
    Er ist pflegebedürftig.Seit dem er in meiner Nähe wohnt.
    Kümmerte ich mich.
    Dabei geht es mir nicht immer gut.
    Einerseits macht mich seine Hilfsbedürftigkeit schon wütend innerlich, weiß ich doch das sie vom Alkohol kommt.
    Anderseits hasse ich seine Art mich zu behandeln wie eine Angestellte.
    Er ist sein ganzes Berufsleben Chef gewesen und anstellen das kann er.
    Und wehe es geht nicht nach seinem Kopf.
    Da ich ganz schön durch Pflege und Arbeit ausgebrannt War bekam ich eine Kur.
    Der Chefarzt hat mir deutlich zu verstehen gegeben das ich nur gesund werden kann, wenn ich nicht mehr zum Vater geh.
    Und sprach ebenfalls von Täter introjektion.
    Das hat mich erstmal niedergerissen.
    Jedoch habe ich dann wirklich den Kontakt abgebrochen und ich muss sagen mir ging es echt besser.
    Im Moment besteht der Kontakt weil er in meiner Arbeitsstelle zur Kur ist.
    Ich kümmere mich jedoch nicht mehr um seine Pflege.
    Nur seine Wäsche.
    Ich merke in dieser Zeit noch einmal ganz deutlich womit ich nicht klarkomme.
    Sobald er zu Hause ist werde ich den Kontakt einstellen.
    Ich überlege auch meine Telefonnummer zu ändern.
    Denn es gibt noch einen Sohn aus zweiter Ehe.
    Das ist nicht der leibliche Sohn.
    Wegen der Mutter hat mein Vater mich als Kind bei meiner unberechenbaren jähzornigen Mutter gelassen.
    Er hat mich mehrmals wenn ich ausgerissen bin (das macht ein Kind nicht aus Spaß )wieder zurück gebracht. Er hat mich in meiner Hilflosigkeit alleingelassen.
    Und diese Sohn nennt mich Schwester.
    Und bringt mir den Vater nach In meine Nähe, was ich nicht wollte.
    Ist selbst stark depressiv Und trinkt.
    Was mich wiederum an meinem verstorbenen Mann erinnert der an den Folgen des Alkoholkonsum gestorben ist.
    So ich denke das hier einige Täterintrojektionen da sind.
    Können Sie es mir vielleicht noch erklären?

    Mit freundlichen Gruß Frau Höde

    1. Stefanie Rösch sagt:

      Liebe Frau Höde,
      da müssen Sie sich gedulden. Das ist ein ganzer neuer Artikel, das dauert ein wenig, bis ich das so beantworten kann.
      Ich setze es auf meine to-answer-and-to-write-Liste.
      Herzliche Grüße
      Stefanie Rösch

  2. Kirsten Lembke sagt:

    Moinmoin und – WOW- was ein Artikel! Ich bin Erzieherin und hab seit jeher auch Interesse an Psychologie. Ich habe mich selbst „umgepolt“ von einem äußerst schüchternen, fremdbestimmten und erniedrigten Wesen in einen Menschen, die jetzt „seinen Mann steht“ und sein Leben in die eigene Hand genommen hat. Gedankenüberprüfung ist mir sehr wichtig und ich arbeite gerne an meinen antrainierten Vergangenheitsmustern, die mir nach und nach ins Bewusstsein kommen. An stressigen Tagen erwische ich mich oft bei Kopfkino- wie ich das bisher genannt habe. Ich war mir nicht bewusst, dass „mein Kind“ auch einen Namen hat -Introjektion. Täterintrojektion war mir bisher absolut unbekannt. Vielen Dank für die verständliche und ausführliche Erklärung bzw. Beschreibung. Ich schätze diese E-Mails sehr. Sie sind sehr lehrreich für mich und fließen manchmal auch in meine Arbeit mit rein.Ich arbeite in einer Reha-Klinik für Familien mit mind. einem krebskranken Kind. Innerhalb der Familie haben sich mit der Zeit einige verworrene Strukturen aufgebaut. Und ein psychologisches Hintergrund-wissen hilft mir oft weiter. Vielen Dank für die spannenden Beiträge, Kirsten

    1. Stefanie Rösch sagt:

      Vielen Dank 🙂 und weiterhin viel Erfolg. Vielleciht hat Ihr Kind ja auch den Namen „Fehlalarm“?

Comments are closed.

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