Die Frage nach der Vergebung im Heilungsprozess hat mich nun einige Wochen beschäftigt. Neben dem letzten Artikel entstand ein zweiter, den ich Ihnen heute zum Nachlesen und Nachdenken anbiete.
Liebe Leserin,
Erwartet Gott von uns, dass wir vergeben?
Ja, das ist so. In Matthäus 6, 9–15 steht das Vater unser:
Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.[Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
Und der nächste Vers lautet:
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Ja, das ist wirklich eindeutig für mich. Er will, dass wir vergeben. Und es ist ihm so wichtig, dass er es gleich nachdem er uns sein Gebet gegeben hat, nochmal darauf hinweist, dass Vergebung ein ganz zentraler Punkt ist.
ABER: Ich glaube, er will die Vergebung für die, die unter der Schuld leiden, die Opfer. Ich weiß nicht, ob es wirklich möglich ist, dass der Täter sich vergeben und frei von Schuld fühlt, wenn wir sagen: Ich vergebe Dir! Das würde in meinen Augen voraussetzen, dass er selbst seine Schuld sieht und Verantwortung dafür übernimmt und entsprechend darunter leidet, weil ihn sein Gewissen plagt. Dann aber, würde er doch von sich aus kommen wollen, um seine Reue zu zeigen. Dann würden Sie wissen, dass die Reue echt ist und dann würde auch etwas geschehen in Ihnen beiden, wenn er um Vergebung bittet und Sie sie gewähren können. Das wäre heilsam.
Doch das passiert leider nicht immer. Daher denke ich auch, dass der Täter seine Schuld mit Gott klären muss. So wie wir nur in Eigeneverantwortung gesund werden.
Bei der ganzen Sache mit der Gewalt und der Vergebung und Schuld und allem, was damit zusammenhängt, geht es oft nur darum, Macht zu haben. Sich nicht ohnmächtig fühlen zu müssen. Ich frage mich: Fühlt sich ein Täter nicht selbst ohnmächtig, um Gewalt gleich welcher Art zu machen? Sieht er nicht, dass das sein Problem der Machtlosigkeit nicht löst, sondern nur kurzfristig befriedet, so wie ein Schluck Wasser den Durst für ein paar Minuten?
Ist Vergebung nicht die befreiende Möglichkeit, die Ohnmacht auf Seiten des Opfers an den Täter zurückzugeben? Wenn ich vergebe, dann entscheide ich. Ich allein. Ich bin nicht auf den Täter angewiesen, um meinen inneren Frieden und Gesundheit wiederzufinden.
Wenn ich darauf warte, bis er bereut, was er mir angetan hat, dann bleibe ich abhängig und vor allem ohnmächtig. Und der Täter bleibt in der Macht. Aber wenn ich mich löse und abwende, dann kann ich wahrlich frei werden. Und Freiheit ist es, was Gott für uns will. Glauben Sie nicht auch? Galater 5 erinnert uns immer wieder daran, dass wir zur Freiheit berufen sind.
Außerdem will er aus dem Leid etwas Gutes wachsen lassen. Das verhindern wir, wenn wir uns nicht auf den Weg der Heilung machen und ihn nicht bis zu Ende gehen.
Was kann aus dem Leid denn Gutes erwachsen?
Das fühlt sich oft und lange vielleicht nicht so an, aber es geschieht ganz automatisch, fast wundersam, wenn man seinen Heilungsweg einfach Schritt für Schritt geht. Gott ist groß. Er wird Ihnen zeigen, wozu er Ihre Verletzungen nutzen will und wie er etwas Gutes daraus entstehen lässt. Sowohl für Sie wie auch durch Sie für andere.
Alleine dass Sie den Mut hatten, mir zu schreiben und mich nach meinen Gedanken zu fragen, ermöglicht es jemand anderem, der diesen Mut nicht hatte, trotzdem meine Antwort zu lesen und auf diese Weise vielleicht Heilung zu erfahren. Alleine weil Sie schon so viel Therapie gemacht haben, dass Sie sich trauen konnten, diese wichtige Frage zu stellen. Das ist es, wie Gott in unserem Leben spricht.
Vielleicht wäre es leichter, wenn Sie wüssten, was Gott durch Ihr Leid und Ihr Ringen um Gesundheit bereits in anderen Menschen bewirkt hat. Das erfahren wir oft nicht, aber wir dürfen sicher sein, dass er das tut. Genauso hat er Ihnen eine Super-Therapeutin an die Seite gestellt. Auch wenn sie keine Christin ist, lernen Sie dort, was es braucht, um mit den Fehlalarmen Ihres Hirns umzugehen und innere Freiheit von der Vergangenheit zu erlangen. Da hat Gott für Sie gesorgt. Bestimmt tut er das auch an anderen Stellen, von denen ich nichts weiß, oder?
Was wäre, wenn Ihr Leid und Ihr Gesundungsweg dazu beitragen oder überhaupt erst ermöglichen, dass andere gerettet werden oder zu Gott finden? Was, wenn Sie einen Weg finden, anderen voranzugehen, anderen Mut zu machen, andere zu berühren mit Ihren Lebenserfahrungen und Gottes Hilfe? Was wenn Sie anderen erzählen, wie groß Gott in Ihrem Leben ist und wie er Ihnen auf jedem Schritt beigestanden hat? Weil Sie es sehen können, wie es tatsächlich war, weil Sie spüren können, dass das die Wahrheit ist. Könnte das Handeln des Täters nicht genau in das Gegenteil von dem umschlagen, was Satan damit bewirken wollte? Es würde Liebe entstehen, wo Zerstörung gedacht war. Es würde Leben entstehen, wo seelischer Tod geplant war. Wäre das Verhalten des Täters dann noch wichtig, wenn Sie sehen könnten, wie Gott allem Sinn gibt und alles nutzt, um das Böse in der Welt durch Sie zu besiegen? Dabei ist er auf Sie angewiesen. Sie sind wichtig! Genau so wie Sie sind. Alles, was es dazu braucht, ist weiter jeden Tag aufzustehen, Therapie zu machen und Schritt für Schritt gesund zu werden und damit Ihrer Umwelt zu beweisen, dass der Plan des Täters versagt hat und Sie die Siegerin sind. Weil Gott Ihnen die Fähigkeit gegeben hat, ihre Gedanken zu erneuern und damit zu einem neuen Menschen zu werden.
Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn, und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. (Epheser 4, 23)
Das erreichen Sie allein dadurch, dass Sie weitermachen wie bisher. Großartig, das gefällt mir!! Ich kann schon wieder sehen, wie Gott sich freut und Satan wie Rumpelstilzchen am Zornen ist, weil Sie diese Zeilen lesen. Das tut so gut. Auch mir.
Sehen Sie, schon ist etwas Gutes entstanden, auch bei mir. Danke dafür!
Ich wünsche Ihnen weiterhin Mut und Durchhaltevermögen und bete, dass Gott Ihnen die Heilung zuteilwerden lässt, nach der Sie sich sehnen und die er im Sinn hatte als er Sie schuf. So soll es sein!
Herzliche Grüße, Stefanie Rösch
Der erste Teil beschreibt die allein psychologische Sicht. Ist für mich logisch.
Der zweite Teil, die biblische Sicht, fordert das, was im ersten psychologischen Teil als letztes des Heilungsweges beschrieben ist. Der Weg bis zum Vergeben ist nicht erwähnt…. Gibt es den in der Bibel auch?
Gerade die Aussage, „wie ich dem Menschen vergebe, so wird Gott mir vergeben“ drängt mich sofort zu vergeben, bevor ich es in der Therapie be- und verarbeitet habe…
Ja, ich will vergeben je eher umso besser, aber es geht nicht.
Nur ein Blickkontakt oder ein kurzes Gespräch mit dem Täter auf der Straße (ich hätte besser aufpassen sollen) triggert und tut weh…
Ich habe mich weiter mit dem Thema beschäftigt.
Ja, in der Bibel steht, dass wir vergeben sollen. Das steht fest, felsenfest…
Ich habe aber keinen Hinweis gefunden, wann wir vergeben sollen, weder „postwendend“ noch eine andere Zeitangabe.
Schließlich ist es auch ein Weg, eine Entwicklung von der Tat, der Verletzung zum Vergeben.
Und auf dem Weg sein, bedeutet schon,
– dass ich die Täter nicht anschreie, Ihnen auf sachlicher Ebene begegne, sachlich also mit dem Verstand;
– dass ich versuche mich in die Täter zu versetzen (wie es Frau Kampusch in ihrem Buch von der Gefangenschaft sehr treffend beschrieben hat.)
– Dass ich die Täter nicht Schwarz sehe, sondern in den unterschiedlichen schwarz-Grau-Weiss-Tönen. Denn ein Mensch ist nicht ausschließlich Täter.