„Eine Kriegsgeneration ist psychisch immer stärker als die nachfolgende Generation belastet.“ (Prof. a. D. Dr. Susanne Guski-Leinwand, 2014)
Im ersten Moment dachte ich: Stimmt. Was gibt es Schlimmeres als Krieg für ein ganzes Volk? Doch dann fiel mir wieder ein, dass es keinen Sinn macht zu sagen, das eine Leid ist mehr oder schwerer als das andere. Wer steht denn so weit außerhalb, dass er Leid oder Belastung objektiv messen könnte?
Natürlich könnten wir das Leid in Anzahl der Menschen mit psychischen Störungen und körperlichen Krankheiten messen. Aber als wissenschaftlich ausgebildete Psychologin weiß ich sehr wohl wie schwer es ist, gute und zuverlässige Maße für so eine Aussage zu finden. Bei der Anzahl der Störungen bleiben zu viele Faktoren unberücksichtigt, die zu einer Störung oder Krankheit führen können.
Wer also maßt sich an, darüber zu urteilen, was nun schlimmer ist, der Krieg selbst oder das Leben mit Eltern, die schwer traumatisiert sind? Ist es schlimmer durch Kriegshandlungen oder deren Auswirkungen wie Hungersnot am Leben bedroht zu sein oder von klein auf seine Grundbedürfnisse nicht erfüllt zu bekommen, weil die kriegstraumatisierten Eltern unfähig sind, ihren Kindern zu geben, was diese brauchen?
Wozu ist so ein Vergleich gut? Hilft er irgendwem? Ich glaube nicht. Er schürt nur das Unverständnis zwischen den Generationen. Es wäre hilfreicher, wenn jeder anerkennt, dass er es schwer hatte: Die Kriegsgeneration mit der Todesangst und die Kindergeneration mit der Lieb- und Gefühllosigkeit. Immer unter der Annahme, dass Todesangst und Lieblosigkeit die entscheidenden Unterschiede für beide Generationen sind. Auch das ist sehr vereinfacht und plakativ und wird dem Erleben des einzelnen Menschen so überhaupt nicht gerecht. Genau deswegen sollten wir Aussagen darüber, wer mehr oder weniger Leid empfindet, vermeiden: Sie helfen nicht und sie werden niemandem gerecht. Im schlechtesten Fall säen sie Zwietracht zwischen den Generationen. Das kann nicht das Interesse eines fühlenden Menschen sein.
Also achten wir im Alltag wieder mehr darauf, nicht zu werten, sondern jedem zuzugestehen, dass sein Erleben und seine Gefühlswelt einzigartig ist. Schließlich beanspruchen wir das für uns auch. Oder?
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Prof. a. D. Dr. Susanne Guski-Leinwand (2014). Erlernte Tapferkeit. Report Psychologie, 39 (10), S. 388-391
vielen dank. lg von einer kriegsenkelin